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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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die Fehler. Im Gegensatz zu Karen schaffte ich nie eine fehlerfreie Runde. Sie konnte dieses Spiel den ganzen Nachmittag spielen, ohne sich zu langweilen. Manchmal, wenn ich es wirklich nicht mehr aushielt, lief mein Pferd Amok, stieß Besenstiele und Eimer um, und Karen fragte mich, ob ich es wieder in den Stall bringen wollte.
    Obwohl wir in St. Bede‘s nicht die besten Freundinnen gewesen waren, klammerten Karen und ich uns im wogenden Meer aus blauen Blazern, unserer ersten Erfahrung an der weiterführenden Schule, aneinander wie Überlebende eines Schiffbruchs. Sie hielt mir im Umkleideraum ein Schließfach frei, ich ihr einen Platz in der Essensschlange; sie reservierte mir in Französisch einen Platz neben sich. Französisch. Das war neues Terrain. Philippe est dans le jardin. Marie-Claude est dans la cuisine. Überall taten sich neue Möglichkeiten auf.
    Alles war neu und seltsam. Anfangs erschien uns der Stundenplan unergründlich. Während wir früher den ganzen Tag am selben Platz gesessen hatten, waren wir nun ständig unterwegs und wurden jede halbe Stunde wie Vieh von einem Raum in den anderen getrieben. Die Schule roch anders als in St. Bede‘s - nicht nach Plakatfarbe und Desinfektionsmittel, sondern nach Bohnerwachs und alten Büchern, eine Kombination, die gleichzeitig sauber und schmutzig war. An die Uniform musste man sich auch erst gewöhnen: die blauen Filzhüte mit einem Gummiband wie eine Garrotte, die wir auf dem Spielplatz als Frisbees benutzten, wurden von Highschool-Marodeuren für wertvolle Trophäen gehalten, so wie das Horn eines Rhinozeros‘ einen Wilderer in Versuchung führen konnte. Und die kratzigen Rollkragenpullis, die uns angeblich von der Tyrannei des Schlipses befreien sollen, rutschten unter unseren Überkleidern hoch und bildeten unter der Brust eine feste Wurst. In der Pause waren die Klos immer voller Mädchen, die ihre Überkleider hochzogen und sich diese nervtötenden Pullis wieder in die Schlüpfer steckten.
    Bei so viel Neuem war es nützlich, bereits eine Verbündete zu haben. Sehr viele Mädchen waren mit ihren Freundinnen auf die Schule gekommen, sodass Einzelne leicht an den Rand gedrängt werden konnten. Karen und ich hätten vielleicht gute Freundinnen werden können. Sie war eigentlich ganz nett, ein höfliches, harmloses Mädchen, der Typ, den meine Mutter für mich ausgesucht hätte, wenn sie gekonnt hätte. Doch das Schicksal - dieses böse Weibsbild - hatte es anders bestimmt. Manche Leute blicken auf ihre Vergangenheit zurück und können einen bestimmten Moment festlegen, in dem eine Begegnung, eine Handlung, eine Entscheidung oder sogar das Unterlassen einer Handlung oder einer Entscheidung sich als ausschlaggebend erwiesen und den Lauf ihres Lebens geändert hat. In meinem Leben fallen mir drei solcher Momente ein. Einer davon ereignete sich vierzehn Tage, nachdem ich auf die Grammar School gekommen war, und hing von einer Reihe trivialer Faktoren ab: von Karen Smarts geschwollenen Drüsen, der Inkompetenz einer Anwaltsfirma im Norden Londons und vom sich verschlechternden Gesundheitszustand Miss Mimosa Smith‘.
    Eines Montagmorgens kam ich in die Schule und stellte fest, dass Karen krank war. Ich wusste schon von ihren »Drüsen«, die, wie sie sagte, dazu neigten, ohne Vorwarnung anzuschwellen wie Golfbälle: Man sah Karen oft dabei, wie sie ihren Nacken mit einem Taschenspiegel untersuchte und ihren Hals an den Seiten mit Finger und Daumen abtastete, um nach plötzlichen Schwellungen zu fahnden.
    Egal in welcher Klasse, wir saßen immer an einem Zweiertisch am gleichen Platz - ungefähr in der Mitte und etwas nach links versetzt. Normalerweise gab es in jedem Raum ein paar Ersatztische, sodass man sich nicht neben jemand anders setzen musste, wenn die Tischnachbarin fehlte, und an jenem Morgen war ich allein dem morgendlichen Unterricht gefolgt. Als der Nachmittagsunterricht begann und wir unsere Plätze im Geschichtsraum einnahmen - guter Name, wenn man die Antiquiertheit und Altersschwäche der Einrichtung in Betracht zog saß eine Fremde auf Karens Platz. Sie hatte sehr dichtes, sehr dunkles, braunes Haar und trug eine seltsame Variation der Schuluniform: Pullover, Überkleid und Strickjacke kamen den vorgeschriebenen Kleidungsstücken nahe, aber waren nicht ganz dieselben. Später erfuhr ich, dass ihre Mutter, entsetzt über die Preise des Maßschneiders, zu dem wir geschickt worden waren, auf der Suche nach billigeren Ausführungen die

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