Seejungfrauen kuesst man nicht
aufgefallen zu sein. Dad sollten wir von diesem Etablissement lieber nichts erzählen, sonst kommt er noch mit seiner Staffelei her. Ich habe Mum später gefragt, ob es ihr aufgefallen sei, und sie sagte, ja natürlich, und ich fragte, warum haben sie diese Teile gezeigt, und sie sagte, und jetzt kommt‘s, »weil der Körper einer Frau das Allerschönste ist, was die Schöpfung zu bieten hat«, und dann hielt sie einen Vortrag darüber, mich nicht für meinen Körper zu schämen, weil in den Augen der Natur selbst die hässlichste Frau schön ist, nicht dass ich hässlich wäre, etc. etc. Ehrlich gesagt glaube ich, dass sie ein bisschen blau war. Jedenfalls schläft sie jetzt fest. Morgen fahren wir weiter nach Süden. Mum will sich einen FKK-Strand suchen, damit sie am ganzen Körper braun wird. Vielleicht vergrabe ich mich im Sand oder in Steinen, oder was sie auch immer da unten haben.
Alles Liebe Frances
In Skye konnte man nicht am ganzen Körper braun werden. So schnell, wie Lexi sie abgeworfen hatte, mussten wir sogar noch Kleiderschichten hinzufügen. Das Feriencottage, das wir gemietet hatten, war klein und düster und schlecht möbliert mit billigen, nicht zusammenpassenden Stühlen und Tischen, die in keinem normal bewohnten Haus gestanden hätten. Es roch leer - nach abgestandener Luft und ungefüllten Regalen und einer leichten Andeutung von Gas. Durch die klappernden Fenster zog es, sodass die Vorhänge flatterten; die Nachtspeicheröfen tobten mitten in der Nacht ein paar Stunden lang, waren gegen Morgen jedoch kalt wie Marmor. Mutter hatte das Gesicht verzogen, als sie die Ausstattung sah, das Haus jedoch als Stützpunkt für völlig ausreichend erklärt - Worte, die meine Stimmung sinken ließen, weil sie tagelange Wanderungen über die Hügel versprachen. Vater, der sein Territorium auf dem Couchtisch mit Stapeln von Ferienlektüre markiert hatte (Reiseführer, örtliche Geschichte und ein paar Walter Scotts), schien unbeeindruckt. Wenigstens waren wir auf die Kälte vorbereitet, mit extra Pullis, dicken Socken und Wärmflaschen.
An der Wohnzimmerwand hing ein primitives Ölgemälde von der Aussicht, die man aus dem Fenster hatte - die Gartenmauer, das Tor, ein schäumender Bach, ein paar Grasbüschel, ein weiß getünchtes Cottage im Zentrum und im Hintergrund die Cuillins vor einem grellen Sonnenuntergang. Nur am Tag unserer Ankunft hatten wir Gelegenheit, das Bild mit dem Original zu vergleichen, da es am folgenden Morgen heftig regnete und Nebel die Welt jenseits des Fensters in einheitliches Grau verwandelte. Nach drei Tagen Eingesperrtsein im Haus hatte ich alle Bücher gelesen, die ich mitgenommen hatte, und war zu dem Sortiment zerlesener Bücher mit kaputten Buchrücken auf der Anrichte übergegangen: Herr der Fliegen, was ich auf Rads Schreibtisch gesehen hatte und wovon mir Mutter fälschlicherweise prophezeit hatte, dass es mir nicht gefallen würde; Im Zeichen des Krebses , durch das ich verstohlene und beunruhigende Streifzüge machte, wenn ich unbeobachtet war, und Ruf der Wildnis , was mit Hunden zu tun hatte und weniger interessant war.
Am vierten Tag wurde beschlossen, dass das Wetter unsere Pläne nicht länger durchkreuzen solle und wir auch bei Hagel und Sturm nach draußen gehen würden. Den Rucksack mit Landkarten, Sandwiches und einer Flasche heißer Suppe auf den Schultern, führte Vater uns gestiefelt und behandschuht - unsere Plastikregenmäntel raschelten beim Gehen - in einem Tagesmarsch nach Elgol und zurück. Zur Belohnung für Blasen an den Füßen und wunde Nasen fuhr er am Abend auf der Suche nach einem Fish-and-Chips-Shop auf der Insel herum und kam eine Stunde später mit drei lauwarmen, fettigen Paketen zurück, über die wir herfielen wie ein Rudel Wölfe. Durch Herumbasteln an den Nachtspeicheröfen war es Vater gelungen, den Zeiger auf »konstant« zu fixieren, sodass sie Tag und Nacht heftig heizten. Egal, was er versuchte, er bekam sie nicht in den Griff. Die Tapete hinter ihnen, vielleicht zum ersten Mal trocken, begann sich vom Verputz zu lösen; nasse Kleider, die man darüber legte, waren in einer halben Stunde trocken wie Chips; wir wachten jeden Morgen mit Halsschmerzen und aufgesprungenen Lippen auf; Mutter bekam eine Migräne und dann noch eine.
Am Ende der zweiten Woche kam die Begnadigung: Nach einem Spaziergang zur nächsten Telefonzelle, um Granny anzurufen, kam Mutter mit der Nachricht zurück, dass Großmutter von einer Stehleiter gefallen
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