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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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gemacht hatte, war er enttäuschter, als er angenommen hatte, aber trotzdem stoisch und großmütig. »Es war ja keine völlige Zeitverschwendung«, sagte er. »Ich wollte diesen Anzug schon ewig in die Reinigung bringen.«
    Mutters Gerechtigkeitssinn war zutiefst verletzt. »Wie konnten sie nur?«, schrie sie, wütend über die Brüskierung und darüber, dass Vater trotz allem doch Recht behalten hatte. Der siegreiche Kandidat war erst zweiunddreißig.
    »Sieht sogar noch jünger aus«, sagte Vater. »Er war in einer dieser großen Gesamtschulen in der Londoner City. Schrecklich netter Bursche. Eigentlich genau was wir brauchen.«
    »Aber zählen denn all die Dienstjahre überhaupt nichts?«, beklagte sich Mutter.
    Vater lächelte leise. »Oh doch«, sagte er. »Loyalität wird immer bestraft.«

15
    Während die Karriere meines Vaters dauerhaft in einer Sackgasse zu stecken schien, wurden Frances‘ Eltern von Veränderungen erfasst. Lexi war zu etwas befördert worden, das sich Teamleader nannte. Das bedeutete mehr Arbeit und mehr Geld - Geld, das nicht in neue Teppiche oder Tapeten oder solche Dinge umgesetzt wurde, für die unerwarteter Geldsegen in unserem Haus gesorgt hätte. Lexi kaufte zwar eine antike Chaiselongue fürs Wohnzimmer, die neben dem Gasfeuer und dem Dralonsofa ziemlich seltsam aussah, und nach einem harten Tag, an dem sie Berichte geschrieben oder Umfrageergebnisse analysiert hatte, lag sie mit Gurkenscheiben auf den Augen darauf. Leider wurde diese Neuanschaffung bald zu Growths Lieblingsplatz, und es dauerte nicht lange, bis der elegante gelbe Brokat unter einer haarigen Hundedecke verschwand. Mr. Radley dagegen war auf der Leiter des kommerziellen Erfolges noch eine weitere Stufe abgestiegen. Er hatte nach einer kleineren Meinungsverschiedenheit mit dem Hotelmanager den Job als Hotelboy hingeschmissen. Es war offensichtlich nicht das erste Mal, dass er unter solchen Umständen gekündigt hatte.
    »Das Problem mit Dad ist, dass er eine Menge Prinzipien hat«, erklärte Frances. »Und er kündigt immer auf Grund des einen oder anderen.« Es war an einem Sonntagmorgen, und wir saßen vor Lexis Frisierkommode und probierten ihr Make-up aus. »Er hat sogar den Hausmeisterposten an dieser privaten Mädchenschule in Hampstead gekündigt, und das war sein Lieblingsjob gewesen. Oder ist er da rausgeschmissen worden? Ich weiß es nicht mehr.« Mit unsicherer Hand trug sie pflaumenfarbenen Lippenstift auf und zog im Spiegel einen Schmollmund.
    »Was macht er denn jetzt?«, fragte ich. Ich hatte nicht bemerkt, dass Mr. Radley unbemerkt hinter uns ins Zimmer gekommen war.
    »Er ist eine Art Nachtwächter.«
    »Was bewacht er denn?« Ich reckte den Hals zu meinem Spiegelbild. Ich zog mir gerade mit einem stumpfen Kajalstift einen Lidstrich, der zu einer dicken, unebenen Linie wurde, als ich Mr. Radley im Spiegel sah und zusammenzuckte, wobei ich mich stach.
    »Die meiste Zeit die Uhr«, sagte er, als ich mich mit einem tränenden Auge umdrehte. »Und würdet ihr zwei Schlampen jetzt so gütig sein und hier verschwinden, damit ich ein bisschen Schlaf bekomme.«
    Zurück in Frances‘ Zimmer betrachteten wir unsere bemalten Gesichter und kicherten. Ich hatte zwei flammende Streifen aus orangefarbenem Rouge auf den Wangen und ein blutunterlaufenes Auge, das schwarz umrandet war. Frances hatte silbernen Lidschatten bis hoch zu den Augenbrauen und einen verwackelten Clownsmund. Aber es gab bereits einen Unterschied zwischen uns. Ich sah immer noch aus wie ein Mädchen, das das Make-up seiner Mutter ausprobierte; sie sah aus wie eine echte Schlampe.
    Frances wurde sich schnell ihrer Anziehungskraft auf Jungs bewusst. Mit dreizehn sah sie schon aus wie fünfzehn. Das war teilweise auf ihre Figur zurückzuführen. Obwohl sie nicht besonders groß war, war sie, was Mutter mit einem leichten Schürzen der Lippen »gut entwickelt« nannte. Sie hatte nicht so verräterisch dünne Beine wie ich, die von oben bis unten gleich schmal waren, wie Stelzen. Und sie zog nicht die Schultern hoch, um sich unsichtbar zu machen, sondern ging gerade, selbstbewusst, Brust raus. Es war aber nicht nur ihr Äußeres. Frances schien starke Signale auszusenden, wie Radiowellen, ohne es auch nur zu bemerken. Immer, wenn wir zusammen loszogen, pfiffen ihr Männer an Baustellen oder aus vorbeifahrenden Lastwagen hinterher und warfen ihr begehrliche Blicke zu, und dann schrie sie wütend »Wichser«, bevor sie sich mit einem Grinsen

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