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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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hinteren Teil meines Rockes gepackt und mit einem schrecklichen Ratschgeräusch die Naht auseinander gerissen.
    »Bitte«, sagte sie, erfreut darüber, mir geholfen zu haben.
    »O mein Gott«, jammerte ich und verdrehte meinen Hals, um den Schaden zu inspizieren. »Was hast du getan? Man kann fast meinen Schlüpfer sehen.«
    »Nicht, wenn du dich nicht zu weit vorbeugst.« Sie hatte sich schon etwas anderem zugewandt und kramte in einer Schubschachtel, die voll mit Lexis aussortierten Schminksachen war. Ich beobachtete, wie sie scharlachroten Lack auf ihre abgebissenen Fingernägel auftrug. »Ich weiß gar nicht, wieso ich mir so viel Mühe mache«, sagte sie und wedelte eine Hand durch die Luft, damit sie trocknete. »Es wird sowieso niemand Anständiges da sein.« Womit sie Nicky meinte.
    »Hm«, stimmte ich zu. Die Party wurde von einem Mädchen an unserer Schule gegeben, und auf Grund des Mangels an verfügbaren männlichen Wesen waren wir alle instruiert worden, einen Jungen mitzubringen. Natürlich waren wir nicht in der Lage auszuhelfen, da wir keine kooperativen Jungs kannten. Es war ausgeschlossen, Rad zu bitten mitzukommen. Er war jetzt in der Oberstufe und hätte die Veranstaltung für »Weiberkram« und unter seiner Würde gehalten. Außerdem war er zu sehr damit beschäftigt, für eine Schulaufführung von Viel Lärm um Nichts zu proben, worin er die Rolle des Benedick spielte. Noch am selben Tag hatte ich ihn seinen Text abgefragt und die Aufregung erfahren, ihn ohne jede Verlegenheit zu mir sagen zu hören, dass er in meinem Herzen leben, in meinem Schoß sterben und in meinen Augen begraben sein wolle. Ich hatte in der Schule Was ihr wollt gelesen und war mit Shakespeareschen Anspielungen vertraut. Erst nach etwas Drumrumreden und sorgfältiger Befragung erfuhr ich zu meiner großen Erleichterung, dass Beatrice von einem schwächlichen Zehntklässler namens Toby Arlington gespielt wurde.
    Auf der Partyeinladung hatte gestanden, dass man eine Flasche mitbringen sollte. Kurz bevor wir gingen, erinnerte sich Frances an dieses Detail und kontrollierte den Kühlschrank. »Wir haben Glück«, rief sie, als sie mit einer drei Viertel vollen Flasche kalorienarmen Tonics aus der Küche kam. »Ich dachte nicht, dass noch was da ist.«
    »Ihr wollt doch nicht etwa ohne Mäntel gehen, oder?«, sagte Lexi, als sie aus dem Wohnzimmer kam, um sich von uns zu verabschieden. »Es ist nicht besonders warm.«
    Wir schüttelten entsetzt den Kopf. »Oh nein, Mum, wir können doch keinen Mantel anziehen«, sagte Frances. »Wir kommen schon klar. Wir fahren die längste Strecke mit dem Bus.« Ich nickte zustimmend. In Wahrheit fror ich schon ein wenig, besonders am Hals, weil Frances mir die Haare hoch gesteckt hatte, aber mein marineblauer Schulmantel war unvorstellbar; er hätte mich zum Gespött der Leute gemacht.
    »Und wie kommt ihr nach Hause?«
    »Ach, uns nimmt schon jemand mit.« Das schien Lexi zufrieden zu stellen. Die Frage, ob sie oder Mr. Radley antreten würden, um Frances abzuholen, stellte sich nie. Wenn mein Vater gewusst hätte, was wir vorhatten, hätte er darauf bestanden, uns bis zur Tür zu bringen und wieder abzuholen. Als wir los wollten, kam Rad mit den Resten seines Abendessens auf einem Tablett - einer Variation des alten Favoriten »Greasy Dog« - die Treppe herunter. Er trug eine ausgefranste, sehr verblichene Jeans und einen Seemannspullover mit Farbflecken und großen Löchern an den Ellbogen.
    »Wie findest du es, Rad?«, fragte Frances und posierte.
    Er sah uns ein oder zwei Sekunden von Kopf bis Fuß an und ließ unseren minimal bekleideten Zustand und unsere bemalten Gesichter auf sich wirken. »Ich finde, ihr seht aus wie ein paar Nutten«, sagte er gleichgültig und stapfte in die Küche. Ich war bereit, mir auf der Stelle das Gesicht zu waschen, aber Frances wollte unbedingt los, also gingen wir aus dem Haus und wankten zur Bushaltestelle. Lexi hatte Recht mit dem Wetter: Meine Arme waren von Gänsehaut überzogen, lange bevor der Bus kam. Ich muss den Großteil meiner Teenagerjahre falsch gekleidet gewesen sein. Die Mode war so verrückt: Im Hochsommer dicke Pullover, die man in enge Jeans steckte, im Winter nackte Beine und keine Jacke.
    Das Haus, zu dem wir wollten, war einen kurzen Fußweg von einer öffentlichen Anlage entfernt, und der letzte Teil des Weges wurde durchs Gras zurückgelegt. Als wir auf Zehenspitzen entlangtrippelten und versuchten, nicht mit jedem Schritt mit den

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