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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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jemand eine weitere Mülltüte angefangen, die jetzt halb voll an der Klinke der Hintertür hing. Mitten in diesem Chaos lehnte ein Zettel mit Frances‘ Handschrift. DAD, DU BIST DRAN.
    Eine langwierige Suche förderte einen löchrigen Gummihandschuh zu Tage. Ich biss die Zähne zusammen und tauchte die Hände in die Spüle. Meine Finger berührten einen Schmalzpfropfen, der entfernt werden musste, bevor das Wasser ablaufen konnte. Nach zwanzig Minuten ließ meine Begeisterung an der Aufgabe nach. Ich ließ den Abwasch abtropfen - es war kein Geschirrhandtuch zu finden - und trocknete meine Hände mit einem Topfhandschuh ab, bevor ich mich nach oben schlich. Aus dem Fernseher hörte ich immer noch das Heulen der Rennautos und den gebrabbelten Kommentar. Auf dem ersten Treppenabsatz hielt ich inne, kontrollierte zweimal, dass niemand in den Schlafzimmern war, und ging weiter nach oben in Rads Zimmer. Er hat zwar einiges mitgenommen, aber es würde mir trotzdem noch Anhaltspunkte liefern. Ich weiß nicht, was ich zu finden hoffte - vielleicht eine Locke von mir, zwischen die Seiten von Byron gepresst. Ich drückte die Tür auf und spürte einen kalten Luftzug. Die Heizung war abgestellt, und das Zimmer roch bereits feucht und verlassen. Ich schaltete die Deckenbeleuchtung ein, und in ihrem grellen Licht wimmelte es nur so von Staubkörnchen. Die Schranktür stand offen und gab den Blick auf ein halbes Dutzend leere Kleiderbügel, Rads alte Schuluniform und drei vereinzelte Schuhe frei. Er besaß so wenig Kleidung, dass er es sich kaum hätte leisten können, irgendetwas Nützliches zurückzulassen.
    Auf dem Schreibtisch war ein Briefständer mit einer Postkarte von Nicky, Urkunden über seine Leistungen im Tauchen und seine Lebensrettungskenntnisse und eine Kritik. aus der örtlichen Tageszeitung ausgeschnitten, über die Aufführung von Viel Lärm um Nichts an seiner Schule. Ein Satz - Marcus Radley als Benedick war zweifellos der Star dieser Aufführung, die ihre Höhen und Tiefen hatte - war mit gelbem Textmarker hervorgehoben: Diese Eitelkeit musste man ihm zugestehen, beschloss ich. Die Wände waren kahl, abgesehen von einem Dartbrett mit allen drei Pfeilen im Schwarzen, Löchern im Verputz drumherum und ein paar Drucken in Postkartengröße: Cezannes Badende , Botticellis Geburt der Venus , ein paar streng aussehende badende Schönheiten aus den Fünfzigerjahren, David Hockneys Swimming-Pools. Was war das gemeinsame Thema? Wasser. War Schwimmen nicht eines seiner vielen Supertalente? Ich erinnerte mich vage daran, dass Frances mir erzählt hatte, er hätte einmal ein Mädchen vor dem Ertrinken gerettet.
    Vor der Schreibtischschublade zögerte ich. Es war in Ordnung, sagte ich mir, sich die Sachen anzusehen, die sich im Raum befanden - dafür waren sie schließlich da. Aber Schubladen zu öffnen war eine andere Sache. Trotzdem. Ich würde nur hineinschauen, beschloss ich, aber nicht drin herumkramen. Kramen wäre schäbig. Die Schublade erwies sich als leer, was mich mit dem ganzen Unbehagen eines schlechten Gewissens zurückließ, ohne die Befriedigung, etwas entdeckt zu haben. Ich schnüffelte nicht weiter: Rad war zwischen seinen Sachen nicht zu finden. Als ich aus seinem Zimmer trat, fiel ich fast über Auntie Mim, die ein Tablett balancierte. Ein Teller mit knallgrünem Rosenkohl und blassen Kartoffeln dampfte neben einer Tasse grauen Tees, von dem das meiste bereits auf der Untertasse gelandet war. Eine schuldbewusste Röte überzog meine Wangen. »Hallo«, stammelte ich. Sie dachte wahrscheinlich, ich hätte versucht, etwas zu stehlen. Vielleicht dachte sie, ich wäre auch in ihrem Zimmer gewesen. »Soll ich Ihnen helfen?« Ich nahm ihr das Tablett ab, solange noch etwas Tee zu retten war, und sie drückte die Tür auf und winkte mich hinein.
    Auntie Mims Ernährung hatte mich eine gewisse Kargheit in ihrer Umgebung erwarten lassen, aber an diesem Raum war nichts Klösterliches. Alle Flächen waren mit Krimskrams übersät - Porzellanfigürchen und Fingerhutsammlungen, Pillendöschen, gerahmte Stickereien, ganze Horden von Holzpuppen mit Rüschenkleidchen. Ich drückte mich herum, das Tablett immer noch in der Hand, während Auntie Mim das Nachtschränkchen leerräumte und den Nippes auf der Frisierkommode sorgfältig neu aufstellte. Der letzte Gegenstand, der weggenommen wurde, war ein altes Schwarzweißfoto in einem runden Silberrahmen, ungefähr so groß wie eine Puderdose. Es zeigte eine junge Frau mit

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