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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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einem intelligenten, entschlossenen Gesicht, dunklen Augen und einem eckigen Kinn. Auntie Mim fiel auf, dass ich das Bild anstarrte, als sie es hochnahm, deshalb sagte ich: »Sind Sie das?« Eingefallen und faltig wie sie war, hätte man unmöglich sagen können, wie Auntie Mim als Zwanzigjährige ausgesehen haben mochte, aber das Mädchen auf dem Foto war attraktiv genug, dass es eine schmeichelhafte Bemerkung war, selbst wenn sie sich als falsch herausstellte.
    Und dann tat sie etwas sehr Überraschendes. Sie presste das Bild an ihr Herz und sagte: »Die große Liebe meines Lebens«, bevor sie es wieder neben ihre Nachttischlampe stellte. Ich war so verblüfft, dass ich fast das Tablett fallen ließ, und brachte nur ein »Oh!« heraus, bevor sie nach ihrem Abendessen griff und den Tee von der Untertasse zurück in die Tasse kippte, und der Augenblick für weitere Vertraulichkeiten war vorüber. Ich taumelte die Treppe hinunter, wütend auf mich selbst, weil ich angesichts eines solchen Geständnisses sprachlos gewesen war. Mein mangelndes Interesse musste zweifellos unhöflich gewirkt haben, aber es war nur die Verblüffung gewesen, die mich gelähmt hatte. Irgendwie schienen Auntie Mim und verbotene Leidenschaft unvereinbar zu sein.
    Unten stellte ich fest, dass Frances und Nicky nach Hause gekommen waren. Sie saßen auffallend eng zusammen auf der Couch und sahen ausgesprochen selbstgefällig aus. Lawrence war noch in das Autorennen vertieft.
    »Ach, hallo, wie kommt‘s, dass du hier bist?«, sagte Frances mit einer Stimme, die nicht gerade einladend war. Da ich in den vergangenen vier Jahren fast jedes Wochenende hier verbracht hatte, hielt ich es nicht für nötig, darauf zu antworten, sondern sagte: »Wie kommt‘s, dass du nicht hier warst?«
    »Nicky ist heute Morgen vorbeigekommen und sagte, er hätte Karten für Les Enfants du Paradis «, sagte Frances so bestimmt, als hätte ihr Wissen über den Film nicht an diesem Tag erst begonnen und auch wieder geendet.
    »Wie fandest du ihn?«, fragte Lawrence plötzlich interessiert.
    »Erstaunlich«, sagte Frances. »Ein Klassiker.«
    »Du bist eingeschlafen!«, protestierte Nicky und gab ihr einen Klaps.
    »Du auch.«
    »Ich bin ja auch die halbe Nacht auf gewesen und habe einen Bericht über ein Experiment geschrieben.«
    »Tja, für mich war es aber schwerer, mich zu konzentrieren, weil ich den Kopf dieses riesigen Kerls direkt vor den Untertiteln hatte.«
    »Klingt ja fesselnd«, sagte ich frostig, verwirrt durch meine Unkenntnis des Films und die ungewöhnliche Intimität zwischen Frances und Nicky. Irgendetwas lief da. Keiner von beiden konnte mir richtig in die Augen sehen, und meine Versuche, ein normales Gespräch zu beginnen eines, an dem ich wenigstens teilhaben konnte scheiterten. Jedes Thema, das ich anschnitt, rissen sich Frances und Nicky unter den Nagel und verwandelten es in eine Gelegenheit zum Austausch von Spötteleien und scheinbaren Beleidigungen, begleitet von einem spielerischen Handgemenge. Frances schien mit einem neuen Lachen zu experimentieren, um ihr normales Gegacker zu ersetzen. Jeder klägliche Witz von Nicky rief ein flötenartiges Kichern hervor, das er dann imitierte, sodass sie wieder anfing. Und dafür hätte ich fast den widerwärtigen Fish ertragen müssen, dachte ich. Nachdem das etwa eine halbe Stunde so gegangen war, wollte ich sie schon fragen, ob es ihnen wirklich gut ginge, als Lawrence, der Sportergebnisse überdrüssig geworden, auf die Uhr sah und sagte: »Es sieht nicht so aus, als würde Lexi noch kommen. Ich habe in einem chinesischen Restaurant einen Tisch für zwei Personen bestellt. Willst du mitkommen, Abigail?« Niemand erhob Einwände gegen diesen Plan, deshalb nahm ich an und verabschiedete mich kurz angebunden von Nicky und Frances.
    »Oh, tschüss, viel Spaß. Du Glückspilz«, sagte Frances, die auf Grund dieser Entwicklung strahlte. Aber als Lawrence mir in den Mantel half, folgte sie mir in den Flur, sagte in reuevollerem Ton: »Ich rufe dich morgen an, ja?«, und schien erleichtert zu sein, als ich nickte.
    »Das mit dem chinesischen Restaurant habe ich erfunden«, sagte Lawrence, als wir rückwärts die Auffahrt hinauffuhren. »Ich hatte nur den Eindruck, dass die beiden allein sein wollten, deshalb dachte ich, wir hauen besser ab.«
    »Aber Frances ist schon seit Ewigkeiten hinter Nicky her, und er hat nie das geringste Interesse an ihr gezeigt«, protestierte ich, gekränkt, dass mein Status als

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