Seejungfrauen kuesst man nicht
Blättern, und als wir um die Ecke bogen, wurde das Sonnenlicht von der Wasseroberfläche so grell reflektiert, dass wir unsere Augen bedecken mussten.
Das Cottage war immer noch da, wenn auch unbewohnt und mit Brettern vernagelt, und der Garten von Löwenzahn und Nesseln überwuchert. Am Ufer trieb ein Boot, das verzogen war und von dem die Farbe abblätterte, an einer Leine vor und zurück, wobei es nur ganz leichte Erschütterungen im Spiegelbild der Baumspitzen und des Himmels verursachte. Selbst das BOOTFAHREN, ANGELN UND SCHWIMMEN VERBOTEN-Schild war noch da.
»Ich hab s dir doch gesagt«, sagte ich und stupste Frances an. Sie wollte gern schwimmen und hatte trotz meiner Warnung darauf bestanden, Badeanzüge und Handtücher mitzunehmen. Rad hatte für Nicky eine Ersatzbadehose ausgraben müssen, während Frances mir ihren zweitbesten Bikini anbot.
»Ich hoffe nur, die wird nicht von Isolierband zusammengehalten«, lautete Nickys Kommentar.
Am gegenüberliegenden Ufer ging ein Paar Händchen haltend spazieren. Der Mann trug einen Rucksack, in dem ein Baby saß, das mit einem geknoteten Taschentuch auf dem Kopf hin und her schwankte. Alle paar Sekunden griff es mit seiner kleinen Hand nach oben und zerrte sich das Taschentuch übers Gesicht, und dann weinte es, bis die Frau es wieder geradezog, und das Ganze ging wieder von vorne los. Im Wald führte jemand einen Setter aus. Der Hund sprang immer wieder aus den Bäumen heraus und blieb am Ufer abrupt stehen, bevor er wieder zurückraste. Auf unserer Seite lagen zwei Mädchen auf dem Bauch im Gras und schliefen oder sonnten sich.
»Ich dachte, du hättest gesagt, es wäre ein See«, sagte Frances, als wir es uns auf einem trockenen Stück Gras bequem gemacht hatten. »Das ist eher ein Teich.«
»Ich war erst sechs, als ich zuletzt hier war«, sagte ich. »Damals sah alles anders aus.«
Rad hatte sich ein Buch mitgebracht - Narziss und Goldmund - und lag auf dem Rücken und las. Frances und Nicky spielten Poker. Ich kannte die Regeln nicht und hatte auch keine Lust, sie zu lernen, deshalb knüpfte ich eine Weile Gänseblümchenketten und legte mich dann mit geschlossenen Augen hin und beobachtete, wie die roten und gelben Lichter unter meinen Lidern verschwammen.
»Verdammt, Rad, das ist so typisch«, hörte ich Frances einen Augenblick später sagen. Rad las weiter. »Du bist so ungesellig.«
»Was ist am Lesen ungesellig?«, fragte er, ohne von der Seite aufzublicken. »Was soll ich denn tun? Einen Moriskentanz aufführen?«
»Du könntest dich mit Abigail unterhalten. Sie hat uns hierhergebracht, und sie langweilt sich.«
Rad seufzte und ließ sein Buch sinken. »Worüber willst du dich denn unterhalten, Abigail?«
»Ich will mich nicht unterhalten«, sagte ich. »Es ist Frances, die Schweigen zermürbend findet, nicht ich.«
»Danke«, sagte Rad und rollte sich wieder auf den Bauch. Als ich ihn verstohlen beobachtete, bemerkte ich, dass er nicht richtig las - er blätterte nicht schnell genug um, und als Nicky das Thema ihres bevorstehenden Urlaubs anschnitt, ließ er sich nur allzu gern ablenken. Sie planten, Anfang September durch Europa zu reisen, »wenn die Kinder wieder in der Schule sind«.
»Ich wünschte, ihr würdet früher fahren«, murrte Frances. »Dann könnte dieses Kind hier mit euch fahren.«
»Du kannst nicht mitkommen«, sagte Nicky und zerzauste ihr gönnerhaft die Haare. »Wir werden in Bahnhöfen schlafen, in Mülleimern nach Essen suchen und uns durchschlagen.«
»Das würde mir nichts ausmachen. Sehe ich aus wie jemand, der verhätschelt werden muss?« Nicky musste zugeben, dass sie sich beim Mülleimer durchwühlen wahrscheinlich mit den Besten messen könnte.
»Deine Eltern würden dich sowieso nicht mitfahren lassen«, sagte er.
»Mum hätte nichts dagegen - sie glaubt, ihr würdet auf mich aufpassen.«
»Keine Ahnung, wie sie darauf kommt«, sagte Rad.
»Nur Dad macht ein paar Schwierigkeiten.«
Über die Reiseroute bestanden noch Unstimmigkeiten. Nicky war für die griechischen Inseln; Rad wollte nach Berlin.
»Wir müssen ein paar Tage irgendwo, wo es warm ist, am Strand pofen.«
»Wir müssen hinter den Eisernen Vorhang.«
»Wir wollen ja nicht den ganzen Urlaub in Zügen verbringen.«
»Wir wollen schließlich eine so weite Strecke wie möglich zurücklegen.«
Der einzige Punkt, über den sie sich einig zu sein schienen, war, unter allen Umständen die Schweiz zu meiden. »Zu teuer«, sagte Nicky.
»Zu
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