Seejungfrauen kuesst man nicht
tauchten in unseren Pyjamas nach Schlüsselbunden, und Abigail saß am Planschbecken und versuchte, das Wasser aus ihren OP-Strümpfen zu schütteln.«
»Ich habe nie ganz verstanden, worauf uns das Tauchen nach Schlüsseln im Pyjama vorbereiten sollte«, sagte sie später, als wir Ellbogen an Ellbogen in den überfüllten Umkleidekabinen standen. »Für ein überschwemmtes Schlafzimmer?« Sie quälte sich in einen engen schwarzen Badeanzug, der dazu gedacht war, die weibliche Figur für olympische Wettkämpfe auf Torpedoform plattzudrücken. Der weiße Bikini, den sie mir geliehen hatte, war riesig für mich. Selbst wenn ich hätte schwimmen können, hätte er nur sehr gesetzte Bewegungen erlaubt. Wenn ich hineinsprang, würde mir das Oberteil über den Kopf rutschen; wenn ich tauchte, würde mir die Hose um die Knöchel hängen.
Als wir durch das eiskalte antiseptische Fußbad zum Schwimmbecken wateten, waren Rad und Nicky bereits im Wasser. Nicky schwamm Bahnen, durchpflügte mit dem Kopf nach unten die Überholspur und trieb Kinder auseinander. Rad sprang vom Sprungbrett, so anmutig wie ein Seevogel. Frances gesellte sich zu ihm, während ich mich im flachen Ende herumtrieb, auf dem Rücken liegend, eine Hand am Geländer, und meine Haare sich fächerartig hinter mir ausbreiteten wie ein Pfauenrad. Um mich herum sprangen kleine, furchtlose Kinder vom Beckenrand ins Wasser, kreischten und spritzten sich mit Wasserbomben nass. An der Wand hing ein mit Cartoons illustriertes Schild, auf dem stand: RENNEN, SPUCKEN, SPRITZEN, ANDERE UNTERTAUCHEN, WASSERBOMBEN, RAUCHEN UND PETTING VERBOTEN. Ab und zu stieß der Bademeister, ein kleiner Mann in sehr engen weißen Shorts, in seine Trillerpfeife und deutete auf jemanden oder zitierte ihn an den Rand, um ihm eine Standpauke zu halten. Ich legte den Kopf zurück, und meine Ohren füllten sich mit Wasser, dämpften das Geplansche und Gekreische, das von den Kacheln widerhallte, und ich sah zu, wie das Licht an der Decke spielte. Als ich aufstand, war Rad neben mir.
»Dein Haar sieht von oben erstaunlich aus«, sagte er.
»Danke.«
»Wie Seetang«, fügte er hinzu, als er wegschwamm, was das Kompliment ziemlich relativierte. Trotzdem gestattete ich mir, mich geschmeichelt zu fühlen, und legte den Kopf wieder zurück, bis meine Haare sich ausbreiteten und der Bademeister heftig in seine Trillerpfeife stieß und mir befahl, sie zusammenzubinden oder eine Badekappe zu tragen, weil es unhygienisch sei.
30
Sehr geehrte Mrs. Gledloe, mein Sohn, der an der Universität Durham studiert, plant im September eine Besichtigungstour durch Europa und hat sich bereit erklärt, als Aufsichtsperson für Frances zu agieren. Angesichts des enormen kulturellen und erzieherischen Wertes einer solchen Reise befürworte ich sie sehr und hoffe daher; dass Sie Frances in den ersten drei Wochen des nächsten Halbjahres vom Unterricht freistellen werden.
Hochachtungsvoll Alexandra Radley
Sehr geehrte Mrs. Radley;
vielen Dank für Ihren Brief vom 15. Juli. Ich fürchte, wir wären äußerst unglücklich, wenn Frances in den ersten drei Wochen des Winterhalbjahres dem Unterricht fern bleibe. Die Oberstufe ist für die Schülerinnen sehr wichtig, und wir legen großen Wert auf Anwesenheit. Selbst wenn Frances nächsten Juni ganz sicher mit guten Noten abschneiden würde, wäre ich dagegen, dass sie so viel Stoff versäumt, und angesichts ihrer schwankenden Leistungen in den Prüfungen in diesem Sommer zögere ich nicht, die Erlaubnis zu verweigern. Ich hoffe, wenn Sie darüber nachdenken, werden Sie verstehen, dass wir nur in Frances‘ Interesse handeln.
Hochachtungsvoll
J. A. Gledloe
Lexi stürzte sofort ans Telefon. Es war Samstag, aber das schreckte sie nicht ab. »So viele Gledloes kann‘s im Telefonbuch nicht geben«, sagte sie, als sie die entsprechende Seite fand und das Buch mit der Faust plattdrückte, bis der Rücken brach. »Glebe, Gledhill, da haben wir‘s.«
»Du kannst sie nicht zu Hause anrufen«, protestierte Frances, als Lexi ihr die Tür zum Flur vor der Nase zumachte. »Dad, halt sie zurück.«
»Ja, sicher wäre ich bereit, in die Schule zu kommen, um es zu besprechen«, hörte man Lexi mit ihrer salbungsvollsten Stimme sagen.
»Als ob ich das könnte«, sagte Mr. Radley und zupfte den Brief auf. »Engstirnige alte Zimtziege«, schnaubte er. »›Schwankende Leistungen!‹ Verdammte Frechheit wenn man sich schon die Mühe gemacht hat, in allen Fächern kläglich zu
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