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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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verlassen konnte, und deshalb wurden Vorsichtsmaßnahmen ergriffen. Trotzdem waren Nicky, Frances und ich hell begeistert, da uns der Wagen Tagesausflüge an die Küste, Picknicks auf dem Land und einen erweiterten Horizont in Aussicht stellte. In Wahrheit verbrachten wir genauso viel Zeit damit, im Auto zu hocken und auf den Abschleppwagen zu warten, wie mit der Erweiterung unseres Horizonts, und noch mehr Zeit damit, uns zu überlegen, wohin wir fahren wollten. Unsere Überlegungen waren durch mangelhafte Initiative gekennzeichnet: Keiner wollte einen Ort vorschlagen, der sich als Reinfall erweisen würde. Deshalb war unweigerlich der halbe Tag bereits verstrichen, wenn wir endlich zu einer Entscheidung kamen.
    Eines Sonntags im Juli lagen Nicky, Frances und ich im Wohnzimmer auf dem Boden und betrachteten eine amtliche topografische Karte von Surrey. Obwohl es noch früh war, war es schon heiß, und Growth kam angeschlichen, um eine kühlere Stelle zu finden; er ließ sich keuchend auf den Bauch plumpsen, mitten auf die North Downs. Lexis Empfehlung, Kew Gardens zu besuchen, war bereits auf Hohn gestoßen.
    »Was ist Kew Gardens denn genau?«, hatte Frances wissen wollen..
    »Das sind botanische Gartenanlagen.«
    »Was kann man da machen?«
    »Es sind botanische Gartenanlagen«, sagte Lexi geduldig. »Man geht hin und sieht sich die Pflanzen an. Sie haben einen Azaleengarten, ein tropisches Palmenhaus und eine schöne Rosenpergola ...« Frances gähnte übertrieben. »Hmm, du bist wahrscheinlich noch zu jung, um das schätzen zu können«, gab Lexi zu, wohl wissend, dass sie Frances damit ärgern würde.
    »Wie wär‘s mit Shere?«, schlug Nicky vor und schubste Growth weg, der ihn anknurrte.
    »War ich schon«, sagte Frances und hievte sich hoch, um die Fenster zu öffnen. Sie räumte einen vertrockneten Kaktus weg, damit sie sich auf die Fensterbank knien konnte, und stellte ihn dann sorgfältig wieder zurück.
    »Wie wär‘s mit dem Meer - Hastings oder so was?«
    »Zu weit.«
    »Box Hill?«
    »Das ist bloß ein Hügel«, sagte Frances. »Oh, schau, das ist ein schöner Name. Half Moon Street.« Sie legte ihren kurzen, dicken Finger auf die Karte.
    »Das kenne ich. Da war ich schon mal«, sagte ich. Plötzlich sah ich es so deutlich vor mir wie einen Traum, an den man sich erinnert: Jener Ausflug mit Vater, der Pub, der See, türkiser Himmel, apfelgrüne Blätter, das Cottage, Matsch, meine ruinierten Sandalen. »Es ist schön da.«
    »Tja, dann lasst uns da hinfahren«, sagte Nicky, nachdem ich es ihnen beschrieben hatte. »Es dauert nicht länger als eine Stunde.«
    »Abgemacht«, sagte Frances.
    Als Rad nach Hause kam und sich dem Plan nur zu gerne anschloss, rief ich Vater an, um abzuklären, ob das Half Moon Street auf der Karte derselbe Ort war, an den ich dachte.
    Er war im Garten gewesen, um Granny in einen Liegestuhl unter dem Magnolienbaum zu setzen, und schnaufte leicht, als er abnahm. Ich konnte ihn mir vorstellen, erhitzt und nervös, mit seiner Jacke und der Krawatte. Meine Frage überraschte ihn, und es dauerte eine Weile, bis er antwortete. »Hab ich dich dorthin mit hingenommen? ... Gütiger Himmel, dass du dich daran erinnerst ... Ja, es ist nicht weit von Dorking entfernt.«
    »War da ein Pub in der Nähe?«
    »Das stimmt. Eine halbe Meile die Straße runter, da wo man das Auto abstellt.«
    »Er ist bestimmt nicht mehr da.«
    »Tja, man soll nie die Lieblingsplätze seiner Kindheit aufsuchen - sie enttäuschen einen immer.« Er wünschte uns einen schönen Tag und entschuldigte sich. Er telefonierte nicht gern, und ich spürte immer sein Bedürfnis, sich kurz zu fassen. »Ich gehe jetzt besser und sehe nach deiner Großmutter. Ich habe sie in diesen Liegestuhl gelegt, der zuschnappt wie eine Mausefalle.«
    »Wo ist Mum?«
    »In der Kirche. Poliert die Messingplatten. Glaubst du, es ist zu spät für mich, religiös zu werden?«
    »Ja.«
    Mein Gedächtnis hatte mich nicht im Stich gelassen. Der Pub war immer noch da, und Rad, durch den Verdienst einer Woche gut bei Kasse, lud uns zum Lunch ein. Wir saßen im Garten, aßen Erdnüsse und wichen Wespen aus, während ein Mädchen mit einer fettigen Schürze unsere Steaks auf einem spritzenden Grill wendete. Danach führte ich die anderen mit Besitzermiene den eingesunkenen Feldweg hinunter zum See. Im Tunnel aus Bäumen war es kühl, dunkel und still, wie im Inneren einer Kathedrale. Gelegentlich schoss ein Lichtblitz durch einen Spalt in den

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