Seekers 03: Auf dem Rauchberg
konnte. Er traf ihn voll in die Seite. Sofort flackerte der Schmerz in all seinen Wunden wieder auf und für einen Moment überkam ihn der Wunsch, einfach aufzugeben – aufzuhören zu schwimmen und sich der Strömung zu überlassen, mochte sie ihn tragen, wohin sie wollte. Vielleicht würde er am Ende des Flusses seine Mutter und seinen Bruder finden …
Durch die tosenden Wellen konnte Toklo einen kurzen Blick auf den ergrauenden Himmel werfen und entdeckte den letzten Stern, der dort noch funkelte. Er erinnerte sich an Okas Erzählung von dem einsamen Bären, der von den anderen Sternen gejagt wurde. Aber vielleicht wurde er ja gar nicht gejagt? Vielleicht folgten sie ihm nur, so wie Kallik und Lusa ihm folgten.
Er durfte nicht aufgeben. Die anderen beiden verließen sich auf ihn. Sie waren darauf angewiesen, dass er ihnen den Weg durch den Fluss zeigte. Von frischer Energie angetrieben, schwamm er weiter, bis er Sand unter den Tatzen spürte. Die vierte Insel war erreicht.
Während er auf die anderen wartete, ging er schon mal ein Stück weiter, um nach der nächsten Insel Ausschau zu halten. Inzwischen war es so hell geworden, dass er recht deutlich die lang gezogene Uferlinie erkennen konnte. Offenbar war diese Insel viel größer als die anderen.
Aber nein, es war die andere Seite des Flusses! Sie waren fast da!
»Lusa!«, rief er, während Kallik die Schwarzbärin aufs steinige Ufer schob. »Kallik! Seht mal! Wir sind fast drüben! Bald haben wir’s geschafft!«
»Quääk!«, kreischte Ujurak von oben. Nach Toklos Vermutung sollte das heißen: »Beeilt euch!« Der erste Strahl der aufgehenden Sonne schob sich bereits über den Horizont.
Lusa war zu erschöpft, um zu sprechen, aber ihre Augen leuchteten, während sie sich gegen Kallik lehnte.
»Nur noch eine Runde schwimmen«, meinte Kallik zuversichtlich.
Diesmal blieb Toklo nahe bei den beiden Bärinnen. Sie konnten das Ufer alle gut sehen, daher brauchte er die Richtung nicht vorzugeben. Lusa hatte Mühe, sich über Wasser zu halten. Ihre Hinterbeine hingen kraftlos am Körper und ihre Nase tauchte immer wieder unter. Kallik versuchte sie zu stützen, aber die Strömung war an dieser Stelle besonders stark, und Toklo erkannte, dass sie alle miteinander von den Inseln weg flussabwärts getrieben wurden. Mit energischen Stößen schwamm er an Lusas Seite, wo er, Kalliks Platz übernehmend, die kleine Schwarzbärin mit der Vordertatze an der Oberfläche hielt und mit den Hinterbeinen kräftig austrat, um sie vorwärtszuschieben.
Schließlich gelangten die drei erschöpften Bären ans Ufer. Sie husteten und spuckten Wasser. Grober, klebriger Sand heftete sich an Toklos Tatzen, während er taumelnd aus dem Wasser stieg. Ujurak erwartete sie bereits, zurück in seiner Bärengestalt, gänzlich trocken und ohne Anzeichen von Müdigkeit. Er drückte die Nase in Toklos Fell, wie um ihn auf den Beinen zu halten. »Ihr habt’s geschafft«, sagte er voller Stolz. »Wir sind auf der anderen Seite des Großen Flusses.«
Toklo blickte sich um. Der Rauchberg, plötzlich viel näher gekommen, ragte hoch über ihnen auf.
Es gab hier nur wenige, kleine Flachgesichterhöhlen mit glänzend silbernen Wänden, die über die aufgewühlte Erde verteilt waren. Dafür sprossen, in Abständen von wenigen Bärenlängen, weitere Flachgesichterbauten aus dem Boden, mit langen Gliedern wie bei denen auf den Inseln. Überall sah er seltsame, neuartige Feuerbiester schlummern, allesamt gewaltig groß und von merkwürdiger Gestalt, viele von ihnen strahlend gelb gefärbt, wie Löwenzahn.
Er war zu müde, um der Sache auf den Grund zu gehen. Entscheidend war, dass der Fluss hinter ihm lag und er in Sicherheit war. Nie wieder würde er eine Tatze in den Großen Fluss setzen müssen.
Ujurak eilte zu Kallik und Lusa, die zurückgeblieben waren. Die kleine Schwarzbärin lag schlaff am Ufer und rieb sich Wasser aus den Augen. »Warum riecht es immer noch nach Flachgesichtern?«, murmelte sie. »Ich dachte, dass wir die jetzt los sind.«
»Noch nicht«, erwiderte Ujurak. »Gleich hinter dieser Anhöhe ist ein riesiger Spalt in der Erde. Auf dem Grund liegt ein langes, silbernes Flachgesichterding, das genauso riecht wie das schmierige schwarze Zeug auf den Inseln. Ich schlage vor, wir überqueren den Graben und bleiben dann immer in der Nähe der Baumlinie, während wir dem Fluss zum Eismeer folgen.
»Was sind das da für schreckliche Dinger?«, fragte Lusa, ohne sich aufzusetzen.
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