Seekers - Die Letzte Große Wildnis: Band 4 (German Edition)
es war nicht meine Schuld, widersprach eine andere Stimme in Toklo. Es war nicht meine Schuld.
Nach und nach beruhigte sich sein Herzschlag und die Angst ließ nach. Ich bin nicht Ujuraks Mutter, sagte er sich. Ich bin nicht für seine Sicherheit verantwortlich.
Er erinnerte sich daran, wie Ujurak verletzt worden war, als er auf dem Weg zum Großen Bärensee von einem Feuerbiest erfasst worden war. Damals hatte sich Toklo wie ein einsamer Stern im dunkelsten Teil des Himmels gefühlt. Er hatte Ujurak nicht beschützen können und war sich völlig unnütz vorgekommen.
Diesmal ist es anders, versicherte sich Toklo und holte tief Luft. Ujurak ist für sich selbst verantwortlich. Warum bringt er sich auch dauernd in Schwierigkeiten?
Plötzlich kam ein schwaches Würgegeräusch aus dem Innern der Höhle. Toklo hielt den Atem an. »Das war Ujurak!«, flüsterte er. »Er ist nicht tot.«
Der Alte beugte sich wieder über Ujurak. In seiner Hand glitzerte etwas Silbernes, das die Form einer Kralle hatte. Toklos Magen zog sich vor Angst zusammen, denn Ujuraks Glieder zuckten und er schlug mit seinen dünnen Flachgesichterarmen wild um sich. Dann wurde er wieder ruhiger. Der Heiler richtete sich auf und strich ihm das wirre Kopffell glatt.
Toklo ließ den Blick zum Mond wandern, der über den bewaldeten Berghängen stand. Große Sehnsucht erfasste ihn. Da gehöre ich hin. Endlose Wälder, das war die richtige Umgebung für einen Braunbären. Dort sollte er sein, nicht hier, versteckt im Schutz der Dunkelheit vor einer Flachgesichterhöhle.
Toklos Gedanken schweiften zurück zu der Zeit, als er und Tobi noch klein gewesen waren und mit Oka in ihrer Geburtshöhle lebten. Er wusste noch, wie Oka ihm die erste Lektion im Jagen erteilt hatte.
»Seht ihr den Stock da?«, hatte sie gefragt und ihn vor den beiden fallen lassen. »Nehmt mal an, das sei ein Hase. Was macht ihr damit?«
»Hetzen?«, riet Tobi mit glänzenden Augen.
Der Gedanke, dass es eine Zeit gegeben hatte, da Tobi noch nicht krank gewesen war, versetzte Toklo einen Stich. Er war zwar nie so stark gewesen wie Toklo, doch keinem war aufgefallen, wie schwach er eigentlich war. Oka hatte sich damals noch nicht solche Sorgen um ihn gemacht, und Toklo hatte seinen Bruder geliebt, ohne sich über seine Schwäche ärgern zu müssen.
»So ein Blödsinn, du Hamsterhirn!«, hatte Toklo erwidert. »Du kannst doch einen Stock nicht hetzen. Ich würde es so machen!«
Toklo sprang auf den Stock, grub seine Zähne hinein, schüttelte ihn hin und her und ließ ihn schließlich vor Okas Tatzen wieder fallen. »Ich habe ihn getötet, oder nicht?«, rief er.
»Das hast du«, knurrte Oka anerkennend. »Komm schon, Tobi, versuch du es.«
Tobi stürzte sich auf den Stock, die Vorderbeine ausgestreckt, um ihn mit den Krallen zu packen, rutschte jedoch bei der Landung aus und landete auf dem Bauch. Der Stock flog hoch durch die Luft.
»Dein Hase ist gerade entkommen«, schnaubte Toklo vergnügt.
Oka seufzte. »Tobi, du strengst dich ja gar nicht an!«, schimpfte sie. »Wie willst du dich denn als ausgewachsener Bär ernähren, wenn du es jetzt nicht lernst?«
Tobi setzte sich auf und schüttelte sich das Laub aus dem Pelz. »Ich bleibe bei Toklo«, erwiderte er. »Toklo, du lässt mich nicht verhungern, oder?«
»Natürlich nicht«, versicherte Toklo. »Ich kann Beute genug für uns beide fangen. Sieh mal!« Er sprang wieder auf den Stock, der diesmal sauber zwischen seinen Tatzen zerbrach.
»Nein«, rügte sie Oka. »Ihr liegt beide falsch. Braunbären leben alleine. So ist es immer gewesen. Unsere größte Stärke ist, dass wir nicht von anderen Bären abhängig sind. Wir sind nur für uns selbst verantwortlich.«
In ihrer Stimme hatte eine grimmige Entschlossenheit gelegen. Selbst als kleines Bärenjunges hatte sich Toklo gefragt, warum sie so betonte, dass Braunbären allein lebten. Obwohl er mittlerweile wusste, dass das für die meisten Braunbären auch zutraf, hatte er immer noch das Gefühl, dass für Oka mehr dahintergesteckt hatte. Aus einem tiefen Instinkt heraus hatte sie jede Gemeinschaft mit anderen Bären abgelehnt.
Lusa, die neben Toklo unruhig herumzappelte, brachte Toklo zurück in die Gegenwart. Das Flachgesicht war verschwunden und hatte Ujurak zurückgelassen. Er schlief, bedeckt von Fellen, in seinem Nest.
Das Flachgesicht will wirklich helfen, dachte Toklo. Aber ich kann mir immer noch nicht sicher sein, dass Ujurak überleben wird. Ich kann noch
Weitere Kostenlose Bücher