Seekers - Die Letzte Große Wildnis: Band 4 (German Edition)
nicht weg.
Seufzend ließ er den Blick noch einmal zu den bewaldeten Bergen wandern, die im Mondlicht silbern schimmerten. Sie sahen so friedlich aus. Seine Tatzen juckten, wollten ihn unbedingt dorthin tragen, in den Schatten der Bäume.
»Bald«, brummte er, so leise, dass es seine Gefährten nicht hören konnten. »Ich komme bald.«
12. Kapitel
Ujurak
Ujurak kauerte am Boden einer Höhle. Die Dunkelheit rückte ihm zu Leibe. Seine Kehle pochte vor Schmerz und eine lähmende Müdigkeit hatte alle seine Glieder befallen. Er stemmte die Pfoten gegen den harten Steinboden, hatte aber nicht die Kraft aufzustehen. Seine Sinne wirbelten in einem nachtschwarzen Strudel dahin.
Ein weißes Licht schimmerte schwach durch die Dunkelheit. Ujurak kniff die Augen zusammen. Ein Polarhase war durch den Höhleneingang gehoppelt. Sein schneeweißes Fell strahlte, als wäre der Mond zur Erde gefallen.
»Komm«, sagte der Hase. »Du musst weg hier.«
»Ich kann nicht«, krächzte Ujurak. Der Schmerz in seiner Kehle wurde beim Versuch, zu sprechen, noch größer. »Ich bin zu müde.«
»Du musst.« Die Stimme des Hasen hatte einen entschiedenen Ton. Er drehte sich um und hoppelte ein oder zwei Sprünge in Richtung Höhlenausgang. Dann blickte er zu ihm zurück und sagte streng: »Du kannst nicht hierbleiben.«
Etwas an dem Hasen zwang Ujurak, ihm zu folgen. Wieder stemmte er die Pfoten auf den Boden, und diesmal gelang es ihm, sich auf die Tatzen zu hieven. Doch seine Glieder waren furchtbar schwer. Am liebsten hätte er sich wieder in die beruhigende Dunkelheit zurücksinken lassen.
»Folge mir«, sagte der Hase. »Alles wird gut, aber du musst die Höhle verlassen.«
Ujurak schleppte sich voran, Schritt für Schritt, einer schmerzhafter als der andere und folgte dem strahlenden Hasen. Je näher er dem Eingang kam, desto mehr Licht strömte ihm entgegen.
Während sich Ujurak vorankämpfte, wurde das Licht zu einem goldenen Leuchten, das seine Augen erfüllte und die Gestalt des Hasen verschwinden ließ. Vom Eingang der Höhle wehte ihm kühle, frische Luft entgegen, die die Düfte des Sommers mit sich führte.
Endlich tat Ujurak den Schritt, der ihn ins Freie brachte, und ließ die Dunkelheit hinter sich. Inmitten des goldenen Lichtes, das ihn noch blendete, erklang heiter die Stimme des Hasen.
»Gut gemacht! Du brauchst dich vor nichts mehr zu fürchten. Hier bist du in Sicherheit.«
Ujurak blinzelte und schlug die Augen auf. Er fand sich im Nest einer Flachgesichterhöhle wieder, eingewickelt in warme Felle. In einer Ecke des Raums brannte ein Feuer, dessen Rauch durch den Raum waberte. Die Düfte verschiedener Heilkräuter kitzelten Ujurak in der Nase. Eines hatte er schon zu Brei zerkaut und auf seine Wunden aufgebracht, ein anderes wirkte schmerzstillend. Ein dritter Geruch war ihm unbekannt.
Trotz der warmen Felle zitterte Ujurak unablässig. Seine Kehle brannte wie Feuer. Er versuchte sich zu erinnern, was geschehen war, hatte aber das Gefühl, als tappte er durch dichten Nebel.
Nach und nach nahm Ujurak ein Gemurmel neben seinem Bett wahr, das über dem Knistern des Feuers kaum zu hören war. Die Worte verstand er nicht. Als er den Kopf drehte, sah er ein Flachgesicht neben sich sitzen. Der Mann war breitschultrig, hatte ein runzliges wettergegerbtes Gesicht und langes graues Kopffell, das über der Stirn nach hinten gestrichen war und im Nacken mit bunten Bändern, Perlen und Federn zusammengehalten wurde. Seine Hände waren eckig und wirkten stark. Er kam Ujurak bekannt vor. Da fiel ihm ein, dass er der Alte war, von dem sich das kleine Flachgesicht hatte heilen lassen.
»Du bist wach«, begrüßte ihn der Heiler. Er sprach jetzt ganz deutlich. Lachfältchen zerfurchten sein Gesicht. »Willkommen in meinem Heim. Ich heiße Tiinchuu.«
»Was ist passiert?«, fragte Ujurak heiser. »Warum bin ich hier?«
»Du hast einen Angelhaken verschluckt«, erklärte ihm das Flachgesicht. »Er hat dich fast umgebracht. Aber ich habe dich in Gestalt eines Hasen besucht und zurückgeholt. Dein Tiergeist ist stark.«
Er hat mich besucht, dachte Ujurak verwirrt. Ist er etwa wie ich? Kann er ein Hase sein und auch ein Flachgesicht?
Er versuchte sich aufzusetzen und merkte erst jetzt, wie schwach er war. Als der Heiler ihm sanft die Hand auf die Schulter legte und ihn zurück auf das Lager drückte, ließ er sich bereitwillig niedersinken.
»Liege still, kleiner Bär«, sagte Tiinchuu sanft. »Du wirst bald wieder stark
Weitere Kostenlose Bücher