Seekers - Die Suche beginnt - Hunter, E: Seekers - Die Suche beginnt
Hintertatzen abstoßen, doch da war nichts, um sich abzustoßen. Kein festes Eis, das einem Halt gab. Kein Schneegestöber, das einen antrieb. Sie fühlte sich hilflos im dunklen, kalten Meer. Weitere Flossen tauchten auf.
»Schneller, Kallik!«, brüllte Nisa. »Du musst raus aus dem Wasser!«
»Mutter!«, schrie Taqqiq von seiner Eisscholle aus. »Kallik! Was ist los?«
Nisa schwamm im Kreis um Kallik herum und schlug mit ihren riesigen Pranken auf die Killerwale ein. Kallik wurde vom Wogen der Wellen erfasst, als die Orcas Nisa mit ihren mächtigen Köpfen rammten und mit den Schwanzflossen nach ihr schlugen, sodass ihr Körper im Wasser herumgewirbelt wurde.
»Mutter!«, rief Kallik verzweifelt, während die Welt ringsum nur noch aus Schwarz und Weiß zu bestehen schien.
»Fort mit dir!« Nisa stieß Kallik mit dem Kopf weg und wandte sich brüllend wieder den Walen zu. Flüchtig erblickte Kallik kleine, kalte, schwarze Augen und ein aufgerissenes Maul, gesäumt von gelben Zähnen.
Wimmernd vor Angst schwamm Kallik drauflos. Ob sie in die richtige Richtung schwamm oder im Begriff war, sich im endlosen Meer zu verirren, konnte sie nicht sagen, aber sie hörte nicht auf zu schwimmen.
Plötzlich stieß sie mit der Nase auf etwas Festes. Sie riss die Augen auf und rang nach Luft. Eis! Sie hatte es bis zur anderen Seite geschafft! Sie grub ihre Krallen in die kalte Oberfläche und zappelte mit den Hintertatzen im Wasser, um sich hochzustemmen. Aber ihre Glieder waren so schwer und ihr durchnässtes Fell zog sie nach unten. Sie schaffte es nicht.
»Hilfe!« In Panik brüllend hielt sie sich am Eis fest. »Bitte, hilf mir!«
Wie ein vom Großen Bären gesandter Geist tauchte plötzlich ihre Mutter neben ihr auf, begleitet von einer Woge scharf riechenden Wassers. Nisa tauchte unter und drückte ihre Tochter mit der Schnauze nach oben. Mit ihrer Hilfe gelang es Kallik, aufs Eis zu klettern und sich in Sicherheit zu bringen. Augenblicklich drehte sie sich um und streckte die Tatzen nach ihrer Mutter aus.
»Komm! Komm raus!«, schrie sie.
Doch Nisas Tatzen waren bereits wieder außer Reichweite. Kalliks Mutter versank, entfernte sich von ihr, die tosenden Wellen türmten sich auf, um sie zu verschlingen, und die Rückenflossen der Orcas kamen immer näher.
»Mutter!«, schrie Kallik. Nisa hatte den Kampf noch nicht aufgegeben, ihre Krallen schnitten klaffende Wunden in die Flanken der Killerwale, aber es waren einfach zu viele. Das Wasser, das über den Eisrand schwappte, hinterließ rötliche Spuren auf Kalliks Tatzen und es roch nach Salz, Blut und Furcht.
Kallik schob ihren Oberkörper über den Wasserrand und streckte die Tatzen aus. »Mutter! Halt dich an mir fest! Ich zieh dich raus!«
Eine Schwanzflosse schnellte aus dem Wasser und traf sie voll gegen die Brust. Kallik wurde zurückgeschleudert, schlug schwer auf dem Eis auf und rutschte mehrere Bärenlängen über den Schnee. Betäubt blieb sie liegen, konnte sich nicht bewegen. Unter dem Eis hörte sie dumpfe Schläge, ein fürchterliches Gurgeln und das Schnappen von Zähnen.
Als das Rauschen in ihren Ohren nachließ, wurde ihr bewusst, dass kein Platschen und keine Schreie mehr zu hören waren. Eine tiefe, trauervolle Stille lag über dem Wasser. Die Killerwale waren verschwunden. Und Nisa auch.
»Mutter!« Eine Stimme ertönte aus weiter Ferne. »Mutter! Kallik! Mutter!«
Taqqiq! Er rief über das Wasser hinweg nach ihnen. Kallik hob den Kopf, hielt Ausschau nach ihrem Bruder. Aber die Wolken hingen tief und waren so undurchdringlich, dass die beiden Bärenjungen einander nicht sehen konnten. Kallik versuchte sich zu erheben und auf seine Rufe zu antworten, hatte aber nicht die Kraft dazu. Ihre Brust war wie eingeschnürt, und sie war nicht in der Lage, auch nur einen Ton herauszubringen und zu rufen: Ich bin hier, Taqqiq! Ich lebe noch!
»Lasst mich nicht allein!«, heulte Taqqiq. »Mutter! Komm zurück! Kallik, wo bist du?«
Kallik presste die Augen zu, versuchte mit aller Gewalt aufzustehen. Aber ihr Körper widersetzte sich ihrem Willen und sie blieb liegen, die Glieder schlaff von sich gestreckt.
Der Wind nahm zu, heulend und pfeifend schleuderte er eiskalten Schnee gegen Kalliks Fell. Sie hörte ihren Bruder noch einige Male rufen, dann verlor sich seine Stimme. Und Kallik konnte nichts tun.
Sie rollte sich zusammen, ließ den Sturm über sich hinwegfegen und versank langsam im weißen Nichts.
5. KAPITEL
Lusa
Wetten, dass du nicht
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