Seekers - Die Suche beginnt - Hunter, E: Seekers - Die Suche beginnt
guter Tag gewesen. Tobi hatte sich kräftiger als sonst gefühlt, und sie hatten ein bisschen im Wasser gespielt, während Oka einen Hasen für sie fing. Trauer ergriff Toklo, wenn er daran dachte.
Die Bärin legte den Kopf auf die Seite und sah ihn freundlich an, als spüre sie seinen Kummer. »Sag mir, wo deine Mutter ist, Kleiner«, sagte sie.
Toklo glitt von seinem Felsen herunter und stakste in Richtung Ufer. Mit der Nase deutete er auf den dunklen Umriss seiner Mutter, die auf der anderen Seite des Flusses noch immer halb im Wasser lag.
»Du solltest zu ihr zurückgehen«, sagte die Bärin. »Sie macht sich sonst bestimmt Sorgen um dich.«
Schön wär’s , dachte Toklo. Die Bärin trat in den Fluss, als wolle sie ihn zur anderen Seite geleiten.
»Ist schon gut«, wehrte Toklo schnell ab. Er wollte nicht, dass sie bemerkte, wie seltsam seine Mutter sich verhielt. »Ich schaff das alleine.«
»Na schön«, sagte die Bärin. »Viel Glück euch beiden.« Sie berührte Toklos Schnauze mit der Nase, dann drehte sie sich um und verschwand langsam in der Dunkelheit. Wehmütig blickte Toklo ihr nach. Warum kümmerte seine Mutter sich weniger um ihn als diese fremde Bärin? Warum war sie es nicht, die sich um sein Wohlergehen sorgte, mit ihm schnäuzelte und dafür sorgte, dass er nicht allein war?
Er watete durch den kalten Fluss und schob sich vorsichtig durch die starke Strömung, wobei er aufpassen musste, dass seine Krallen nicht von den glatten Kieselsteinen abrutschten. Oka rührte sich nicht, als er sich ihr näherte, und er scheute sich, sie anzusprechen, aus Angst, sie würde ihn genauso anfauchen wie den anderen Bären zuvor. Er stieg die Böschung ein kurzes Stück hinauf und ließ sich dann nieder, so nahe bei Oka, wie er sich traute.
Schneeflocken trieben an seiner Nase vorbei, beißende Kälte lag in der Luft. Toklo hätte sich gern an das Fell seiner Mutter geschmiegt. Er konnte sich kaum noch erinnern, wie sich das anfühlte, denn seit Tobis Tod hatte sie es nicht mehr zugelassen, dass er ihr nahekam. Er legte das Kinn auf seine Tatzen und beobachtete sie. Sie knurrte im Schlaf, murmelte vor sich hin. Er sah, wie ihre Vordertatzen zuckten und sich spreizten, als würde sie im Traum ein Tier packen und mit den Klauen auf den Boden drücken.
Toklo fühlte sich unbehaglich, seine Mutter so zu erleben. Es war, als hätten die Bäume im Wald sich die Erde von den Wurzeln geschüttelt und würden jetzt durch die Gegend spazieren oder der Fluss hätte die Richtung gewechselt und würde jetzt bergauf fließen. Sie war dafür da, seine Beschützerin zu sein. Sie war dafür da, ihm alles beizubringen, was ein Bär wissen musste. Sie war ganz bestimmt nicht dafür da, ihn zu verstoßen.
Mit diesen Gedanken sank Toklo in einen dunklen, unruhigen Schlaf.
Im Traum lag Toklo sicher und behütet an einem Ort unter der Erde. Blinzelnd blickte er sich um und stellte fest, dass er wieder in seiner Geburtshöhle war. Die Erdwände waren gebogen und die Decke so niedrig, dass er und sein Bruder es schön warm hatten. Tobi lag zusammengerollt neben ihm, immer wieder öffnete und schloss er sein Maul, als würde er ausprobieren, wie das funktionierte.
Toklo konnte die reichen, intensiven Gerüche der Erde wahrnehmen. Er sog den Duft von Laub und Moos ein. Seine Nase juckte, er musste niesen und davon wurde er wach. Er öffnete die Augen und sah seine Mutter über sich stehen. Sein Fell fühlte sich seltsam schwer an. Plötzlich bemerkte er, dass es mit Erde und Laub bedeckt war. Oka hatte die Augen halb geschlossen und murmelte vor sich hin.
»Geleitet ihn über alles unwegsame Gelände hinweg, bis seine Seele zu dem Gewässer gelangt, das tief in euch lebt …«, sagte sie mit sanfter Stimme. Sie sprach die Worte des Totenrituals!
Toklo sprang auf und schüttelte sich das Fell aus. »Mutter!«, rief er erschrocken. »Halt! Ich lebe noch, siehst du? Ich bin nicht tot!«
Okas Blick war verschwommen, sie schien eher in die Ferne zu blicken als auf ihn. Offenbar war sie schockiert darüber, dass er aufgestanden war.
»Mutter?«, sagte er noch einmal. »Sieh doch, es ist alles in Ordnung. Ich bin nicht tot.«
Ihre Augen verengten sich und sie fletschte die Zähne. »Du solltest tot sein«, fauchte sie.
Toklo trat einen Schritt zurück. Auf dem Boden neben sich entdeckte er ein Zeichen. Es war das gleiche, das Oka neben Tobis Leiche in die Erde geritzt hatte. Was, wenn jetzt die Erdgeister kamen, um seine Seele
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