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Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)

Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)

Titel: Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Zimmermann
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flüchtig das Album durchzublättern, und gleich auf der ersten Seite fallen mir gepresste Rosenblätter entgegen, hauchdünne Gespinste. Ich lächle wehmütig, als ich sie vorsichtig in der Hand halte, und für einen kurzen Moment duften sie für mich immer noch so intensiv wie damals. Uli hatte die dunkelroten Rosen, deren Blütenblätter wie Samt waren, im Vorgarten unserer Nachbarn gepflückt und war dabei erwischt worden. Es hatte jede Menge Ärger gegeben, aber Uli hatte nur trotzig gemeint: »Aus Liebe darf man das.«
    Am liebsten würde ich jetzt doch meine Lesebrille suchen, denn mir fällt ein, dass ich damals auch alle Zettelchen eingeklebt habe, die wir im Pausenhof ausgetauscht haben. Aber dann entscheide ich mich doch dafür, endlich wieder vernünftig zu werden, die Vergangenheit vergangen sein zu lassen – und klappe das Album entschlossen zu. Am besten ganz weg damit aus meinem Leben, rät mir meine innere Stimme. Aber weil das dann doch eine weitreichende Entscheidung ist, die ich um diese Uhrzeit und in meinem momentanen Zustand gar nicht fällen kann, schiebe ich sie erst einmal auf und das Album wieder unters Bett und wende mich den naheliegenden Problemen zu. Die da sind:
    – Wo ist mein Zahnbürste?
    – Wo ist Rudolf?
    Die erste Frage klärt sich relativ rasch, indem ich zuerst den Koffer durchwühle (Fehlanzeige), anschließend die Reisetasche (erfolgreich). Ich habe sogar das Ladedings für die elektrische Zahnbürste mitgenommen, stelle ich erfreut fest. Das ist aber so ziemlich mein einziges Erfolgserlebnis an diesem Abend, denn von Rudolf keine Spur!
    Vorsichtshalber schleiche ich nochmals nach unten. Könnte ja sein, dass er plötzlich ungeheuer rücksichtsvoll geworden ist, vor der Haustür steht und sich nicht zu läuten getraut, weil es doch schon so spät ist. Aber über diesen völlig absurden Gedanken muss ich selbst lachen, und natürlich ist da auch kein Rudolf, als ich die Haustür öffne. Ich pinne ihm einen Zettel an die Klingel:
    Ruf mich auf dem Handy an! Ich mach dir dann auf!
    Küsschen Doreen
    Fünf Minuten später stehe ich wieder unten und streiche die letzten beiden Wörter dick durch. Was vermutlich eine sehr gute Idee war, denn als ich gerade die Haustür wieder abschließen will, höre ich lautes Maunzen. Sofort reiße ich die Tür wieder auf, und da kommt Jeanny auf mich zu. Meine Jeanny, vielleicht ein bisschen rundlicher als damals, aber wer ist das nicht?
    »Mäusle«, rufe ich glücklich und streichle sie am Kopf, während sie mir um die Beine streicht. »Ja Mäusle, warst du draußen?« Ich weiß, das ist eine rein rhetorische Frage, aber Jeanny scheint sie zu gefallen, denn sie schnurrt heftig. Natürlich kann das nicht meine Jeanny sein; keine Katze der Welt wird zweiunddreißig Jahre alt. Aber Tatsache ist, dass die Tigerkatze mit den weißen Pfoten, die vor mir steht und erwartungsvoll miaut, eine erstaunliche Ähnlichkeit mit meiner Jeanny hat.
    »Komm«, locke ich, und sie rennt mir voraus, bleibt vor Mamas früherem Bügelzimmer stehen, schafft es, mit der Pfote die angelehnte Tür zu öffnen und ist schon mitten im Katzenfutterparadies. Die diversen Näpfe auf dem Boden sind randvoll gefüllt, und Jeanny – oder wie sie auch immer heißen mag – macht sich, immer noch laut schnurrend, über das Futter her. Ich habe mich zu ihr auf den Boden gesetzt, kraule sie, und als ich schließlich aufstehe, rennt sie wie selbstverständlich hinter mir die Treppe hoch, begleitet mich ins Bad und dann in mein Zimmer.
    Mit wirren Gedanken über Treue, Vertrauen und Männer an sich und im Besonderen lege ich mich ins Bett. Bitte keinen Alptraum in dieser Nacht, hoffe ich, und dann muss ich auch schon eingeschlafen sein, denn als ich irgendwann aufwache, habe ich anscheinend völlig traumlos geschlafen; ich kann mich jedenfalls an nichts erinnern. Im Zimmer ist es stickig, und einen Moment lang habe ich fast den Eindruck, keine Luft zu bekommen. Ich taste nach der Nachttischlampe, aber die ist nicht dort, wo sie sein sollte. Dasselbe gilt für meinen Herzallerliebsten! Dafür liegt dort etwas sehr Pelziges, was empört aufmaunzt und sich als Jeanny herausstellt.
    Es dauert etwas, bis ich mich wieder sortiert habe, aber dann bin ich hellwach, vor allem, als ich das Fenster weit öffne und die kühle Luft hereinströmt. Es ist eine sternenklare Nacht, und die Silhouette des nahen Stadtparks hebt sich wie ein Scherenschnitt vom Horizont ab. Ein Bild des Friedens,

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