Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
ich weiß nicht so genau ...«
»Genau!«, wiederhole ich und versuche vergeblich, mich an meinen Traum zu erinnern. Rudolfs Finger haben inzwischen meinen Hals verlassen und bewegen sich Richtung Busen. Man könnte das alles für ein zufälliges Streicheln halten, aber ich weiß es besser. Dahinter steckt eine ausgefeilte Choreographie, der ich wenig Widerstand entgegensetzen kann. Und auch gar nicht will!
»Und? Wie war’s mit Moni?« Die Hand an meinem Brustansatz stockt für den Bruchteil einer Sekunde.
»Ganz interessant, ja doch.«
»Aha. Interessant.«
»Du sagst es. Interessant.«
»Das heißt?«
Rudolf scheint klar zu werden, dass er an diesem Morgen mit allen Mitteln arbeiten muss. Er nimmt die andere Hand zu Hilfe, während er weitschweifig von seinem Stadtrundgang mit Moni erzählt, vom Schloss, vom Stadtpark, von der Kirche, die sie angeblich besichtigt haben. Ich glaube ihm kein einziges Wort.
»Das Dumme war, ich habe vermutlich nur die Hälfte von allem verstanden, was sie mir erzählt hat«, flüstert er und verstärkt seine Bemühungen. »Weil alles doch auf Schwäbisch war.«
»Aber Moni hat dir doch bestimmt ihre Handynummer gegeben?«, flüsterte ich zurück.
Er zögert unmerklich.
»Sag schon!«
»Sie hat sie mir förmlich aufgedrängt«, behauptet er. »Aber das bedeutet überhaupt nichts.«
»Mach ruhig weiter«, sage ich, als er innehält.
»Womit? Über Moni reden oder ...?«
Ich strecke mich ihm entgegen. »
Oder
, bitte!«
Der Kaffee ist bereits kalt, als wir nach unten gehen, aber die grauhaarige Frau in hellblauer Kittelschürze, die gerade mit Fensterputzen beschäftigt ist, bietet an, sofort frischen zu kochen.
»Bitte machen Sie bloß keine Umstände«, sage ich verlegen. »Sie müssen Frau Blumer sein, gell? Ich bin Dorothea.«
»Doro. I woiß scho.«
Sie legt das Fensterleder beiseite, mit dem sie wenig erfolgreich die Terrassentür bearbeitet hat. Zumindest glaube ich mich zu erinnern, dass die Scheibe gestern noch wesentlich weniger verschmiert war. Frau Blumer wischt sich die Hände an der Schürze ab und kommt auf uns zu.
»Und des isch beschtimmt dr Herr Dokter. I han übrigens frische Seele kauft, die hend Sie doch immer so gern gesse.«
Ich nicke verwirrt. Ich bin mir fast sicher, dass ich Frau Blumer noch nie im Leben gesehen habe. Woher weiß sie dann, dass ich früher so gern Seelen gegessen habe?
Rudolf legt breit grinsend den Arm um meine Schulter und zieht mich an sich. »Klär mich doch mal bitte auf, wie du wirklich heißt. Im Sortiment haben wir inzwischen diverse Namen: Dorothea, Doro, Doreen ... Wer bist du jetzt wirklich?«
Dorle, füge ich in Gedanken hinzu. Mit einem Seitenblick auf Frau Blumer sage ich: »Keine Ahnung.«
In gespielter Entrüstung baut er sich vor mir auf. »Wie bitte? Hiermit frage ich dich nochmals: Dorothea, Doro, Doreen, du hast wirklich keine Ahnung, wer du bist?«
»Für dich Doreen«, sage ich und lächle dabei, obwohl mir gar nicht danach zu Mute ist. Denn wer bin ich eigentlich? Doreen? Oder vielleicht doch eher Doro? Oder ...
»I mach dann amol en frischen Kaffee«, unterbricht Frau Blumer meine Gedanken. Aber dazu kommt sie dann doch nicht, denn an der Haustür klingelt es.
»Ach, etzt isch er scho wiader zrück. Etzt muss i mi erscht um Ihren Vadder kümmre. Dr Spaziergang isch zu Ende. Und dr Kaffee kenntet ihr au selber mache, gell.«
Schuldbewusst stehe ich da. Denn an Papa habe ich gar nicht mehr gedacht. Ein älterer Mann (keine Ahnung, wer das sein könnte) schiebt den Rollstuhl ins Wohnzimmer. Papa, in sich zusammengesunken, eine karierte Decke um die Schultern gelegt, starrt vor sich hin, und mir zerreißt es fast das Herz, als ich ihn so sehe. Ich gehe neben dem Rollstuhl in die Hocke, nehme Papas Hand und halte sie ganz fest. »Was möchtest du gerne? Soll ich dir Frühstück machen oder ...«
Ich bin fast sicher, dass er mich versteht, denn er versucht zu lächeln. Wahrscheinlich müsste man sich mehr um ihn kümmern, ihm vielleicht vorlesen, mit ihm reden. Und genau das sage ich auch Frau Blumer, die mit verschränkten Armen neben dem älteren Mann steht (könnte ihr Bruder sein, eine gewisse Ähnlichkeit ist zumindest vorhanden) und uns gespannt beobachtet.
»Um Himmels willen, bloß it!«, ruft sie energisch. »Der Vadder braucht etzt wieder a Ruah. Am beschten bringet die Männer ihn glei wieder nach obe.«
»Aber Papa braucht Anregungen. Ich finde ...«
Ich verstumme, als Frau Blumer
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