Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
mir mit einer Handbewegung das Wort abschneidet. »Pst, seiet Se bloß still«, macht sie, und vermutlich hat sie recht. Denn Papas Kopf ist zur Seite gesunken, und jetzt erkenne auch ich, dass er völlig erschöpft ist. Rudolf und »der Ehegatte«, wie mir Frau Blumer ungefragt mitteilt, bringen ihn nach oben in sein Zimmer, während ich mich ans Kaffeekochen mache.
Denn Frau Blumer hat jetzt wirklich keine Zeit mehr dazu, erfahre ich, sie müsse noch das Badezimmer und das ganze Obergeschoss richten, und außerdem habe sie auch im Garten zu tun. Schließlich müssten endlich die Rosenbüsche geschnitten werden, es sei ein Wunder, dass Stützles sich noch nicht über die Wildnis beschwert hätten.
»Es isch also gnuag zum tua«, sagt sie im Brustton der Überzeugung, als sie mit dem Wischmopp in der Hand ins Bad geht. Dass sie mit Fensterputzen hier unten noch gar nicht fertig ist, scheint sie völlig vergessen zu haben.
Rudolf entwickelt beim Frühstück einen sehr gesunden Appetit – ganz im Gegensatz zu mir. Ich sitze vor meinem Kaffee (schwarz und viel zu stark) und überlege hin und her.
»Die Luft in Aulendorf bekommt mir ausgezeichnet«, stellt Rudolf nach einer Weile fest und greift nach der nächsten Seele. »Man könnte doch hier auch mal Urlaub machen. Wenn ich an dieses sauteure Hotel auf Sylt denke, kein Vergleich zu dem, was so ein netter kleiner Ort zu bieten hat. Außerdem wird die Nordsee irgendwann auch mal langweilig. Mir zumindest.« Er beißt mit Genuss in die resche Seele und macht Pläne für den Rest des Tages. »Hörst du mir überhaupt zu, Doreen? ... Ich sagte, ich schau erst mal nach den Mails, schließlich muss ich wissen, was in der Galerie läuft, danach könnten wir spazieren gehen und ...«
Ich stelle meine Kaffeetasse geräuschvoll auf dem Unterteller ab. »Mails kannst du vergessen, hier im Haus ist kein Internetanschluss. Das ist das eine. Zum anderen fahren wir nachher nach Ravensburg zu Wolfgang und Renate, das ist so ausgemacht. Wir müssen nämlich dringend darüber reden, wie es mit Papa weitergeht. Frau Blumer ist jedenfalls nicht qualifiziert genug für seine Betreuung. Finde ich wenigstens.«
Ich habe meine Stimme gesenkt, denn Frau Blumer, die gerade geräuschvoll mit dem Besen auf der Treppe herumfuhrwerkt (hoffentlich erfolgreicher als bei ihren Fensterputzversuchen), muss diese Einschätzung nicht unbedingt mitbekommen. Denn vermutlich wird nichts anderes übrigbleiben, als sie noch so lange zu beschäftigen, bis wir eine wirklich gute Kraft gefunden haben. Was wahrscheinlich auch nicht einfach sein wird.
Ein lautes Räuspern an der Tür lässt mich zusammenzucken. »I dät etzt ganga!«, ruft unsere Perle. »Isch des so recht? Eigentlich bin i nämlich fertig!«
»Ja natürlich«, gebe ich zurück, »gehen Sie nur, Frau Blumer.«
Rudolf seufzt. Aus Mitgefühl, vermute ich zuerst, aber dann meint er: »Das war aber eben nicht dein Ernst. Ein Haushalt ohne Internet? Das gibt’s heutzutage doch gar nicht mehr.«
»Doch, gibt es, stell dir vor«, erwidere ich kühl. Ich finde nämlich, er braucht sich gar nicht so anzustellen. In Berlin hält er bei jeder Gelegenheit ellenlange Vorträge darüber, dass man sich bloß nicht zum Sklaven der modernen Technik machen solle.
»Aber ...«
Ich lasse ihn gar nicht zu Wort kommen. »Ist doch auch egal, wenn du mal ein paar Tage nicht über alles informiert bist. Du wirst sehen, es geht auch ohne. Wir regeln das heute sofort mit Renate und Wolfgang, geben am besten gleich eine Anzeige auf. Und von mir aus können wir ja auch morgen schon zurück nach Berlin, was meinst du? Ich kann hier sowieso nichts für Papa tun, er schläft ja die meiste Zeit.«
»Morgen? Zurück? Aber warum denn das auf einmal?« Er sieht mich verständnislos an.
»Bitte Rudolf, es hat mich wahnsinnig viel Energie und Mühe gekostet, dich von der Fahrt hierher zu überzeugen. Jetzt sag bitte nicht, dass ich dich auch noch zur Rückfahrt überreden muss.« Kopfschüttelnd schiebe ich mein Gedeck zur Seite. »Komm, lass uns jetzt nach Ravensburg fahren. Je schneller wir alles geregelt bekommen, umso besser. Aulendorf ist einfach nichts für uns.«
Wenn ich Rudolfs wehmütigen Blick richtig deute, ist er gerade völlig anderer Meinung. Ich ahne auch, weshalb.
Mir bleibt vermutlich nichts anders übrig, als meinen Herzallerliebsten keine Sekunde aus den Augen zu lassen. Aber dann klingelt mein Handy, und ich stehe auf und verschwinde lieber mal in
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