Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
geht es gar nicht um irgendwelche Frauengeschichten.
»Ich habe Gedichte geschrieben.« Er stockt. »Nun ja, es war Liebeslyrik.«
Es scheint ihm sehr peinlich zu sein, denn er bröselt schon wieder.
»Ist doch absolut okay«, stelle ich großzügig fest und überlege, ob ich mir jetzt doch noch ein weiteres Stück dieser absolut phänomenalen Sahnetorte mit Schokosplittern und Marzipan gönnen sollte. Vermutlich sind das dann mindestens wieder sechshundert Kilokalorien, die ich aber bei einer netten kleinen Stadtbesichtigung locker wegatmen werde.
Ich winke gerade nach dem Kellner, da meint Rudolf: »Weißt du, es könnte fast eine Art Fingerzeig des Schicksals sein.« Mit einer energischen Bewegung wischt er die Zuckerkrümel zur Seite und nimmt meine Hand. »Doreen, als du das Auto weggebracht hast, wollte ich in den Reiseführer schauen und, jetzt halt dich fest, wie durch ein Wunder klappte er bei Bad Buchau auf. Nicht bei Bad Waldsee, Bad Schussenried oder was weiß ich denn. Wie ich sagte, Fingerzeig des Schicksals. Denn der Verlag war in Buchau, da bin ich mir ganz sicher. Ich hab damals nämlich in meinem Schulatlas danach gesucht, ich kannte den Ort ja nur aus der Anzeige und der Verleger hieß ... Na, ich komme gerade nicht auf den Namen. Wichtig war für mich damals nur, dass er völlig aus dem Häuschen war und tatsächlich meine Gedichte veröffentlichen wollte.«
»Wahnsinn«, sage ich und überlege, ob ich nicht doch lieber vernünftig sein und ein Stück Obsttorte bestellen sollte.
»Wahnsinn! Das ist genau das richtige Wort. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich mich damals gefühlt habe. Ich habe mich schon als umschwärmten Lyriker gesehen. Aber dann wurde es mit der Veröffentlichung doch nichts. Aber der Verleger hat mich zu sich eingeladen, daran erinnere ich mich noch ganz genau. Seine Tochter war nämlich auch ungeheuer begeistert von meinen Gedichten und wollte mich unbedingt kennenlernen.«
»Und?«, frage ich mäßig interessiert. »Hat sie?«
Betrübtes Kopfschütteln. »Sollte wohl nicht sein. Schade, angeblich war sie so feengleich wie meine Gedichte.«
»Oh, das ist natürlich schade. Feengleich ... Du wärst bestimmt dahingeschmolzen. So geht es mir übrigens bei der Torte hier auch. Rudolf, ich glaube, ich bestelle mir noch ein Stück.« Dass ich dann leider doch verzichten muss, liegt daran, dass Rudolf plötzlich aufspringt.
»Natürlich!«, ruft er triumphierend aus und greift auch schon nach seinem Trenchcoat. »Gerade ist mir der Name eingefallen. Eigeltinger, Kuno Eigeltinger. Komm, lass uns fahren! Auf nach Buchau!«, fügt er hinzu, weil ich ihn verständnislos anstarre.
Während der Fahrt lese ich aus dem Reiseführer vor: »Das kleine Städtchen überrascht mit einer Vielzahl kulturell interessanter Gebäude wie Stiftskirche, Rathaus und natürlich dem Europareservat Federsee ...«
Aber genauso gut könnte ich auch das Telefonbuch vortragen. Rudolf, seit Jahren Ehrenmitglied in der
Kulturscheune
(ein Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat,
lebendige Kultur zu bewahren und erlebbar zu machen
, so steht es zumindest auf dem scheußlichen Pokal, der bei meinem Herzallerliebsten den Schuhschrank ziert), dieser kulturbeflissene Rudolf interessiert sich nicht die Bohne dafür, welche Kunstschätze Bad Buchau zu bieten hat. Ihn interessiert nur Kuno Eigeltinger! Und natürlich die Frage, ob seine grandiose Jugendlyrik noch existiert, und falls ja, ob man sie nicht doch noch veröffentlichen könnte.
»Sicherlich müsste ich einige Gedichte nochmal überarbeiten«, meint er, »aber garantiert wäre es das wert. Ich ärgere mich nur, dass meine Mutter alle Durchschläge weggeworfen hat. Weißt du, ich bin beruflich so erfolgreich, habe alles, was ich mir nur wünschen kann, eine tolle Galerie, eine schöne Wohnung, ein teures Auto, eine ...«
Das Handy klingelt und unterbricht ihn leider an völlig unpassender Stelle. Ich hätte nämlich zu gern gewusst, ob
ich
irgendwann in dieser Aufzählung auch aufgetaucht wäre, und vor allem an welcher Stelle. »Du solltest hier besser dreißig fahren«, erinnere ich ihn und fahnde nach seinem Handy auf dem Rücksitz. Sollte es Moni sein, so werde ich ihr sagen, dass Rudolf im Moment sehr beschäftigt ist. Was auch stimmt, denn er steuert gerade einen freien Parkplatz an, und beim Einparken sollte man ihn keinesfalls stören. Aber es ist, wie ich auf den ersten Blick sehe, in diesem Fall tatsächlich Ramón, der aber
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