Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
rund. Endlich einmal keine unerquickliche Diskussion über diese Problemzone (davon werden meine Füße ja auch nicht zierlicher), denn im oberen Stockwerk sind die Handwerker zugange und durchdringender Bohrmaschinenlärm macht jedes Wort überflüssig. Ich ziehe die Verkäuferin zum Schaufenster und deute auf meine Traumschuhe, ein hinreißendes Paar Peep-Toe-Pumps mit Stilettoabsatz.
»Weeß ick aber nich, ob wir die ooch in Ihrer Größe ham!«, brüllt sie nach einem kurzen Blick auf meine Quadratlatschen.
»Ham Se!«, brülle ich optimistisch und in bestem Kreuzberger Slang zurück. »Weeß ick!«
Und tatsächlich, es gibt sie in meiner Größe. Sie fallen zwar ein wenig klein aus, aber wer kauft schon Schuhe, um sich darin wohlzufühlen? Außerdem, so tröste ich mich, ziehe ich im Theater und im Kino Schuhe prinzipiell aus.
»Nehme ich«, sage ich, als die Bohrmaschine für einen Moment verstummt und bevor Rudolf mit seinen sonst üblichen kleinkarierten Bedenken dazwischenfunken kann. Und stürze mich dann sofort auf das nächste Paar: traumhafte goldfarbene Riemchensandaletten, ein echtes Gedicht.
»Passen wie angegossen«, behaupte ich und ignoriere Rudolfs nervös flackernden Blick. Weil ich aber kein Unmensch bin und die Verkäuferin nun endlich doch ein Gespräch über Problemfüße beginnen möchte, reiße ich mich schweren Herzens von den nächsten drei Regalmetern mit hinreißenden Schuhen los.
»Chefin kommt gleich«, murmelt die Verkäuferin, als ich an die Kasse gehe.
»Frau Eigeltinger?«, fragt Rudolf nach, und als die Verkäuferin nickt, wirft er mir einen bedeutungsvollen Blick zu. Ich finde, er sollte mir dankbar sein, dass ich soeben für mehr als zweihundert Euro Schuhe gekauft habe; eine bessere Eintrittskarte könnte er bei Frau Eigeltinger gar nicht bekommen.
Es dauert dann aber doch noch eine ganze Weile, bis sie endlich auftaucht: klein, kompakt, mit kurzen rotgefärbten Haaren und in einem dunkelblauen Handwerkeroverall. Und äußerst energiegeladen, denn nach einem genuschelten »Grüß Gott« poltert die angeblich ehemals Feengleiche los: »Der Lade isch eifach z’ klein. Da hab i mir gsagt, i mach was aus dem Obergschoss. Wisset Sie, wie hoch die Miete hier sind?« Sie schüttelt fassungslos den Kopf. »Als ob mir hier auf dem Times Square wäret. A was, do wird’s au it viel deurer sei. Ond an gscheite Handwerker kriagt ma au nemme! Ond wenn doch, dann isch ma glei a Vermega los. Bar oder Karte?«
Ich brauche einen Moment, bis ich kapiere, was sie meint.
»Karte«, murmle ich, und Lolita Eigeltinger fährt seufzend fort: »Was i sage wollt: Es bleibt eim ebe nix andres übrig, als selbr anzupacke. Des macht dann bei Ihne genau zweihundertdreiundvierzig Euro siebzig.«
Während ich hochkonzentriert meine Geheimzahl eingebe (zwei Mal wurde meine Karte wegen eines Zahlendrehers schon eingezogen und jedes Mal musste ich erstens dafür bezahlen und zweitens mir eine neue Geheimzahl merken), höre ich Rudolf, der sich inzwischen wieder gefasst hat, mit Schmelz in der Stimme fragen: »Sind Sie vielleicht die Tochter von Kuno Eigeltinger? Dem bekannten Verleger? Darf ich mich vorstellen, mein Name ist ...«
Weiter kommt er nicht, denn von der Treppe ertönt ein begeisterter Schrei: »Ja Rudolf, dia Stimm kenn i doch. Des gibt’s doch ita! Wo kommsch du etzt au her?«
Ich drehe mich schockiert um. Da steht Moni, meine Lieblingsfeindin, und flippt fast aus vor Begeisterung.
»Wo kommst du jetzt auch her?«, frage ich zurück, nachdem ich mit leidlich lockerer Miene zugeschaut habe, wie das Miststück meinen Rudolf abbusselt, so, als habe sie jedes Recht der Welt dazu.
Moni, in knallenger Jeanslatzhose, mit weißem T-Shirt, die blonden Haare lässig zusammengesteckt, stößt mich an. »Ha du, i han mi aufs Heimwerka verlegt. I han nämlich bei dr Ladies-Night im Baumarkt die Basics glernt. Und etzt helf i halt dr Loli, weil dia des alloi it nakriagt. Abr etzt machet mir a Päusle. Wenn mr uns etzt scho treffat, dann kennet mr doch auch zamme was essa ganga, oder?«
Was Rudolf – im Gegensatz zu mir – für eine ausgesprochen gute Idee hält. »Ich sollte Frau Eigeltinger gleich auf den Nachlass ansprechen«, flüstert er mir zu. »In einem gepflegten Restaurant können wir dann das weitere Procedere klären.«
Dazu kommt es dann aber doch nicht, und das liegt vor allem an Lolita Eigeltinger, die meinen Herzallerliebsten aus dem Dichterolymp wieder in die schnöde
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