Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
schon aufgegeben hat, bevor ich noch abheben kann.
Erstaunlicherweise interessiert Rudolf sich nicht im Geringsten dafür, wer angerufen hat. Versonnen sitzt er da, die Stirn gerunzelt, und scheint heftig nachzudenken.
»Komisch, dass Moni sich gar nicht mehr meldet«, sage ich.
Das ist jetzt ein echter Versuchsballon. Kann durchaus sein, dass es total schiefgeht, aber ich will es wissen. Mit angehaltenem Atem warte ich auf eine Reaktion, doch da kommt erst mal gar nichts.
Nach einer Weile meint Rudolf dann: »Ja, komisch ... Du, Schatz ... Ich glaube, mich zu erinnern, die Straße hatte irgendeinen Tiernamen ... Schwanengasse? Amselweg? Ich finde, damit sind wir schon einen gewaltigen Schritt weiter. Komm, lass uns aussteigen, so groß ist der Ort hier ja auch nicht, und notfalls fragen wir eben im Einwohnermeldeamt nach.«
»Natürlich«, gurre ich zufrieden. Ein Hoch auf Rudolfs frühe Gedichte. Ich beschließe, sie einfach grandios, wenn nicht gar nobelpreisverdächtig zu finden. Von Moni ist jedenfalls keine Rede mehr, und das ist die Hauptsache. Deshalb stört es auch nur wenig, dass Rudolf ungefähr jeden Zweiten, den wir auf der Straße antreffen, mit dem absolut peinlichen Satz überfällt: »Entschuldigen Sie, können Sie mir eine Straßen mit einem Tiernamen nennen?«
»Wir suchen Kuno Eigeltinger«, schiebe ich nach, und Rudolf nickt. »Den bekannten Verleger. Den müssten Sie doch kennen.«
Zwei junge Mädchen, die gerade aus dem Eiscafé am Marktplatz kommen, kichern nur verlegen, und als ich mich nochmals umdrehe, sehe ich, wie eine der beiden sich an die Stirn tippt. Aber Rudolf bekommt das gar nicht mit. Mit jugendlichem Elan stürmt er soeben in die Druckerei am Marktplatz und kommt wenig später mit deutlich weniger Elan wieder heraus.
»Nun ja«, meint er, »es wäre natürlich zu schön gewesen. Aber immerhin weiß ich jetzt mehr.«
»Und das wäre?«
»Kuno Eigeltinger ist vor zwölf Jahren gestorben.«
»Das ist natürlich bedauerlich«, gebe ich zu und überlege, ob es jetzt sehr pietätlos ist, wenn ich Rudolf auf diesen entzückenden Gasthof gegenüber aufmerksam mache. Denn dort gibt es original schwäbischen Zwiebelrostbraten mit Spätzle, wie ich gerade eben gelesen habe. Zwiebelrostbraten mit Spätzle! Dafür könnte ich glatt sterben! Ich spüre, wie mein Magen sich in froher Erwartung zusammenzieht und vernehmlich knurrt.
»Komm«, sagt Rudolf nur, als ich am Eingang des Gasthofs stehenbleibe, »wir müssen weiter. Nach Bad Waldsee, denn dort lebt die Tochter von Kuno Eigeltinger.« Mit verklärtem Gesichtsausdruck fährt er fort: »Ich habe übrigens gerade in Erfahrung gebracht, dass auch die Tochter eine echte Künstlerseele ist. Wenn ich das Schwäbisch richtig verstanden habe, war sogar von einem kleinen Museum die Rede. Kann ich mir gut vorstellen, vermutlich mit dem Nachlass. Wie lange fährt man denn bis Bad Waldsee?«
Ich verabschiede mich in Gedanken von Zwiebelrostbraten und Spätzle. Und leider schleicht sich bei mir allmählich der Gedanke ein, dass Moni weit weniger anstrengend wäre. Als ich nämlich anmerke, dass ich demnächst vor Hunger zusammenbrechen werde, wischt Rudolf das mit einer lässigen Handbewegung und der Bemerkung weg: »Denk an die Kalorien! Was meinst du, sollte ich erst einmal unter Pseudonym veröffentlichen?«
Ich nicke wortlos. Und auch während der Autofahrt schweige ich. Fällt aber auch nicht weiter auf, denn Rudolf redet pausenlos, kramt in seinen Erinnerungen und versteigt sich schließlich sogar zu der kühnen Behauptung: »Wenn ich es richtig überlege, wird mir immer klarer, dass mein Herz für die Lyrik schlägt.«
»Achtung!«, brülle ich. »Der Traktor!«
Rudolf tritt auf die Bremse und tätschelt mir anschließend beruhigend das Knie. »Doreen, sei doch nicht immer so ängstlich. Ich fahre sportlich, aber unfallfrei. Weißt du, ich habe schon manchmal darüber nachgedacht, was ist, wenn mir meine Galerie keinen Spaß mehr macht. Einen Roman zu schreiben, würde mich auch reizen, Stoff genug habe ich ja ...«
»Natürlich«, murmle ich. »Du hättest übrigens gerade eben abbiegen müssen.«
Bad Waldsee gefällt Rudolf sofort. Was nicht zuletzt daran liegt, dass er so ziemlich auf Anhieb einen Parkplatz findet, an der Stadthalle, oberirdisch. Und das Allerschönste: Die erste Stunde ist umsonst!
»Lass uns erst mal ein paar Schritte um den Stadtsee machen«, schlage ich vor, denn ich bin mir sicher, dass wir unterwegs
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