Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
macht, bin ich lieber ruhig. Rudolf hat in dieser Hinsicht nämlich keine Hemmungen; es kursiert das Gerücht, er habe auf die vage Einladung hin:
Sie können ja mal bei uns vorbeikommen, wenn Sie in der Nähe sind
, drei Wochen bei Bekannten von Bekannten auf Ibiza verbracht. Außerdem interessiert mich im Moment mehr, was das für ein Krach in unserem Wohnzimmer ist. Sollte Wolfgang tatsächlich auf meinen Anruf reagiert haben und prompt hier aufgetaucht sein?
»Weg!«, höre ich Papa rufen – und gleich darauf lautes Gelächter. Das hört sich nun weniger nach Wolfgang an, so gut gelaunt ist mein Bruder normalerweise eher nicht.
»Kannst du mal mitkommen?«, bitte ich Rudolf, aber er ist bereits eilig ins obere Stockwerk verschwunden. Jede Wette, dass gerade eine SMS kam! Und jede Wette, dass die nicht von Ramón war! Ich bin genau in der richtigen Stimmung, als ich die Wohnzimmertür aufreiße. Sofort verstummt das Gelächter.
»Was ist denn hier los?«, rufe ich.
Papa, in seinem Rollstuhl, mit weißem Hemd und blauem Pullunder, eine Decke über den Knien, klappt den Mund auf. Ich renne zu ihm, weil ich wieder einen Erstickungsanfall befürchte, aber er murmelt nur »Gisela« und lässt den Kopf auf die Seite sinken.
»Darf ich jetzt vielleicht erfahren, wer Sie sind?«, frage ich mit diesem metallischen Unterton in der Stimme, der in meiner Zeit als Kaufhausdetektivin äußerst hilfreich war und mir zu fetten Fangprämien verholfen hat. Auch in diesem Fall wirkt es, die zwei älteren Herren am Tisch stehen sofort auf.
»Bäuerle, Josef«, sagt der Ältere mit einer angedeuteten Verbeugung.
»Und i bin dr Alfons. Bäuerle, Alfons.«
Ich nicke gnädig. »Sie spielen also Karten mit meinem Vater«, kombiniere ich mit einem raschen Blick.
»Noi, mir schpielet Skat.«
Das ist Josef Bäuerle, dem die Schweißperlen auf der Stirn stehen.
Seine ungesunde Gesichtsfarbe lässt nichts Gutes ahnen, zumindest was seinen Blutdruck angeht, und aus meiner Erfahrung als Pflegehelferin (zwar nur drei Wochen, aber die hatten es in sich!) weiß ich, dass so etwas ganz bös enden kann. Vor allem bei übermäßiger Aufregung. Deshalb sage ich betont sanft: »Aha. Das ist ja ganz reizend, dass Sie sich so nett um meinen Vater kümmern. Ich bin übrigens die Tochter. Doreen.«
»Dorothea!«, entgegnet Papa empört und richtet sich auf und buchstabiert: »Do-ro-the-a!«
»Von mir aus. Dorothea«, sage ich.
Erstaunlich, welche Energie kranke Menschen immer dann entwickeln, wenn ihnen etwas gewaltig gegen den Strich geht. So wie meinem Vater jetzt gerade. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben, dass er topfit ist, wie er jetzt plötzlich kerzengerade dasitzt und darauf beharrt, dass ich Dorothea heiße.
»Ich sag aber meistens Dorle zu ihr«, meint er und greift nach meiner Hand.
Allerdings scheint das für ihn dann doch zu anstrengend gewesen zu sein, denn von einer Sekunde auf die andere sackt sein Kopf nach vorn, und der Körper wird schlaff.
»Koin Grund, dass Sie sich Sorge machet«, meint Alfons Bäuerle und fühlt Papas Puls. »Desch alles no im grienen Bereich.«
»Aha«, sage ich nur. Mein Gesichtsausdruck spricht vermutlich Bände, denn sein Bruder packt hastig die Karten zusammen, und mit der Versicherung, dass sie morgen gern wieder kommen würden, falls ich nichts dagegen hätte, verabschieden sich die beiden Herren.
Erst als der Opel wegfährt, fällt mir ein, dass ich ihre Hilfe noch gebraucht hätte, denn irgendwann muss Papa ja wieder nach oben gebracht werden. Ob Rudolf und ich das allein schaffen? Mir fällt ein, dass mein Vater vorgestern, als wir vom Zug kamen, eigentlich noch ganz gut auf den Beinen war. Und als ich mich jetzt neben ihn setze und ihm die Hand tätschle, habe ich den Eindruck, dass es ihm auch schon wieder bessergeht. Er flüstert: »Schön, dass du da bist, Dorle. Und jetzt lass mich einfach eine Weile hier sitzen.«
Mach dir bloß keine Sorgen, zumindest keine größeren als nötig, beruhige ich mich, als ich ins Arbeitszimmer gehe und das verstaubte Faxgerät einschalte. Denn mir ist klar, dass auf meinen Bruder absolut kein Verlass ist! Am besten wird sein, wenn ich meinen Plan, eine Anzeige aufzugeben, allein durchziehe. Ich überlege kurz und schicke dann meinen Anzeigentext (handgeschrieben, aber leserlich) an die
Schwäbische Zeitung:
Solide Betreuung für netten älteren Herrn gesucht
,
möglichst ganztags. Wohnmöglichkeit im Haus
,
gute Bezahlung
.
Ich
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