Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
habe Wolfgangs Privatnummer angegeben, denn bis die Anzeige erscheint (leider erst nächste Woche), bin ich schon längst wieder in Berlin.
Während ich in der Küche aus den Resten im Kühlschrank ein schnelles Essen zusammenstelle, überlege ich, ob es wirklich so klug war, etwas von guter Bezahlung zu schreiben. Am liebsten wäre es mir natürlich, Papa würde um seiner selbst willen gepflegt werden – und nicht wegen des schnöden Mammons! –, aber das ist wohl eher unrealistisch. Garantiert bleibt mir auch nichts anderes übrig, als meinen Anteil an den Betreuungskosten zu erhöhen, zumindest muss ich es Wolfgang anbieten und hoffen, dass er großzügig ablehnt. Was allerdings eher unwahrscheinlich ist, wie ich meinen Bruder kenne.
Siedend heiß fällt mir ein, was Yasemin über die grandiose Arbeitsplatzsicherheit bei
Creativa
gesagt hat. Vermutlich habe ich also noch einen entscheidenden Grund mehr, so schnell wie möglich zurückzufahren. Ich muss mich wahrscheinlich sofort um einen neuen und vor allem noch besser bezahlten Job kümmern.
Mit Papa zusammen sitze ich im Esszimmer. Ich habe den Rollstuhl an den Tisch geschoben, für drei Personen gedeckt, schnell einen bunten Blumenstrauß im Garten gepflückt (mit Rosen, Lavendel und duftendem Phlox) und auf den Tisch gestellt, und die Augen meines Vaters leuchten, als ich ihm eine blütenweiße Serviette auf den Schoß lege.
»Wie früher«, sagt er. »Dorle, jetzt ist es wieder so schön wie früher.«
Ich lächle, aber in Wirklichkeit ist mir gar nicht danach zu Mute. Rudolf ist wieder einmal unterwegs; angeblich will er nur das Auto holen und in die Garage stellen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass man dazu eine geschlagene Stunde braucht. Genauso lange ist er inzwischen weg, und ich vermute stark, dass er noch einen kleinen Umweg macht, um vielleicht irgendwo ganz zufällig Moni zu begegnen. Denn dass es heute unser letzter Tag hier ist, habe ich ihm vorhin in der Küche unmissverständlich (und vielleicht etwas zu laut) klargemacht.
Erfreulich ist nur, mit welch gutem Appetit Papa isst. Wir sitzen uns gegenüber und als sein Blick auf das dritte Gedeck und dann auf mich fällt, stehe ich auf und trage es wortlos in die Küche zurück. Mir sind gerade einige Paare aus dem Bekanntenkreis eingefallen, die den Herausforderungen eines gemeinsamen Urlaubs nicht gewachsen waren. Bine und Rolf haben sich auf den Malediven getrennt, Sandra und Erhan in Venedig, nachdem er versehentlich ihren teuren Verlobungsring im Canal Grande versenkt hat, und bei Hedda und Siegmar reichte es schon, dass sie sich nicht einig werden konnten. Sie wollte an die Nordsee, er in die Alpen. Stattdessen haben sie dann lange Stunden gemeinsam vor einem schlecht gelaunten Scheidungsrichter verbracht.
»Wir schaffen das«, sage ich halblaut zu mir selber. Rudolf und ich werden als das Paar in die Geschichte eingehen, dem selbst ein Urlaub nichts anhaben kann. Mein Ehrgeiz ist erwacht, zumal ich auf keinen Fall bereit bin, den
George Clooney der Berliner Künstlerszene
– wie die
Berliner Zeitung
Rudolf neulich in einem Artikel genannt hat – kampflos aufzugeben. Vor allem nicht an Moni!
Papa ruft aus dem Wohnzimmer. Er möchte vor den Fernseher geschoben werden, was ich schon mal ganz erfreulich finde, weil das ja bedeutet, dass er wieder Anteil am Leben nimmt. Zumindest ein bisschen. Ich drücke ihm auch noch die Fernbedienung in die Hand und mache mich ans Packen. Meine Stimmung steigt mit jedem Kleidungsstück, das ich in den Koffer lege. Ich weiß, in Berlin wird alles wieder gut werden.
Koffer und Reisetasche bringe ich schon mal in die Garage. Ich will nämlich nicht, dass Papa jetzt schon etwas von unserer Abreise mitbekommt. Nachher werde ich es ihm erklären, in aller Ruhe, und ich bin sicher, dass er mich versteht. Ich greife nach meiner Regenjacke und überlege gerade, ob ich sie auch schon einpacken soll, da fällt mein Blick in den Garderobenspiegel, und ich fahre erschrocken zurück. Der Tag war anstrengend, und man sieht es mir an. Von strahlender Schönheit, wie Rudolf noch morgens im Bett behauptet hat, ist jedenfalls keine Spur mehr vorhanden. Ich beschließe, unbedingt sofort und auf der Stelle etwas für mein Äußeres zu tun und will gerade wieder nach oben gehen, um zu duschen und wenigstens meine Haare einigermaßen in Griff zu bekommen, da klingelt es.
Nur mit Rücksicht auf Papa mache ich auf; wäre ich allein im Haus, würde ich Rudolf jetzt
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