Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
Studentenverbindung war (aus Versehen, wie er behauptet), dass er Fahrstühle, Tunnels und Parkhäuser meidet und gelegentlich zu kleineren gepflegten hypochondrischen Anfällen neigt. Was ich aber noch nicht wusste, ist, dass er sich auch brennend für Motoren interessiert. Denn er telefoniert jetzt schon geschlagene achtundreißig Minuten lang mit Herrn Huber, im Arbeitszimmer. »Da ist es am ruhigsten, muss mich nämlich konzentrieren«, hat Rudolf mir zugeflüstert und dann mit wichtiger Miene die Tür geschlossen.
Herr Huber muss ja ein ungeheuer unterhaltsamer Mensch sein, denn immer wieder höre ich Rudolfs herzliches Lachen bis in die Küche, wo ich in diversen Backbüchern Hefezopfrezepte studiere. Ich habe nämlich beschlossen, etwas für unsere Beziehung zu tun, eine Goodwill-Aktion sozusagen: Ich backe endlich den (schon so oft angedachten) Hefezopf, eine echte Premiere für mich. Bekanntlich ist es ja nie zu spät, mit etwas Neuem anzufangen.
»Du hast doch nichts dagegen, wenn ich noch mal schnell in der Werkstatt vorbeischaue? Vielleicht wird ja schneller gearbeitet, wenn ich dabei bin.«
Ich schaue hoch, als Rudolf in die Küche kommt. Durch das weit geöffnete Fenster fällt mildes Abendsonnenlicht, und ich finde, dass – zumindest im Augenblick – jeder Vergleich mit George Clooney mehr als berechtigt ist. Rudolf ist
mein
George Clooney, denke ich, aber mit Lockenkopf, und das ist um einiges besser als das Original.
»Und? In Ordnung, wenn ich kurz verschwinde?«
»Ja, natürlich, geh nur«, erwidere ich. »Lieb von dir, dass du dich so rührend kümmerst. Herr Huber meint übrigens, dass bis morgen alles wieder in Ordnung ist. Das heißt, wir können endlich fahren.«
Rudolf küsst mich flüchtig. »Schauen wir mal. Aber was ist mit deinem Vater? Kann man ihn überhaupt allein lassen?«
»Von Alleinlassen kann überhaupt keine Rede sein!«, protestiere ich. »Vormittags ist Frau Blumer da und nachmittags kommt normalerweise immer Renate. Aber was mich wundert: Findest du es nicht auch komisch, dass sie und Wolfgang heute nicht erschienen sind? Ich hab doch wirklich deutlich gesagt, dass ich unbedingt mit ihnen reden muss.«
»Siehst du, auf die beiden ist also kein Verlass. Ich bin der Meinung, wir sollten nicht so überstürzt fahren. Dabei denke ich ausschließlich an deinen Vater«, fügt er hinzu. Ich habe den Eindruck, er ist kurz davor, die Hand aufs Herz zu legen und zu schwören.
»Mach dir mal keine Sorgen«, sage ich betont locker. »Was Papa angeht, es gibt da noch die beiden Bäuerles, die auch öfters vorbeischauen. Davon mal abgesehen, ich habe den Eindruck, Papa geht es gar nicht so schlecht. Am Montag rufe ich auf alle Fälle seinen Hausarzt an. Aber das kann ich auch von Berlin aus erledigen.«
Rudolf wirkt nicht sehr überzeugt, als er schließlich murmelt: »Na gut, wenn du meinst, du musst es ja wissen. Aber ich nehme am besten doch einen Hausschlüssel mit; ich habe ja keine Ahnung, wie lange es in der Werkstatt dauert. Mach dir also keine Sorgen, falls es später wird.«
Mache ich mir bestimmt nicht, im Gegenteil. Ich finde, es schadet gar nichts, wenn Rudolf sich endlich mal mit dem Thema Auto beschäftigt. Spart nämlich enorm viel Geld, wenn man nicht wegen jeder Kleinigkeit in die Werkstatt muss. Außerdem genieße ich es sogar, dass ich jetzt allein bin, Zeit für den Hefeteig und vor allem zum Nachdenken habe. Papa sitzt immer noch im Wohnzimmer vor dem Fernseher, sieht sich interessiert ein Fußballspiel an und macht insgesamt einen recht stabilen Eindruck. Vorhin wollte er sogar ein Bier.
Ich schütte gerade Milch in einen Topf (exakte zweihundertfünfzig Milliliter, wie es im Rezept steht) und stelle die Schnellkochplatte auf zwölf, da ruft Wolfgang an.
»Ihr habt ja vielleicht Nerven!«, schimpfe ich. »Wir waren gestern in Ravensburg, auf eure Einladung hin übrigens, und dann seid ihr wie vom Erdboden verschluckt. Ich bin ja mal sehr gespannt, wie du mir das erklären kannst. Und warum ihr euch nicht blicken lasst, wenn ich euch eine nette Einladung auf den Anrufbeantworter spreche. Also, ich höre?«
»Ach Doro, das ist eine sehr lange Geschichte.«
»Ich hab alle Zeit der Welt«, sage ich herzlos und mache es mir am Küchentisch bequem.
Was ich dann erfahre, schockiert mich aber doch, denn mein Bruder hat Probleme, wie er zugeben muss, genauer gesagt: Eheprobleme.
»Hab ich das jetzt richtig verstanden? Ihr denkt wirklich über Scheidung nach?
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