Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
Wolfgang den einzig vernünftigen Vorschlag der Welt, sage ihm, dass ich bereits alles in die Wege geleitet habe (zumindest ist die Anzeige schon mal unterwegs), aber er macht ein Theater, als wollte ich Papa in ein Heim abschieben: »Er muss unbedingt von jemandem aus unserer Familie versorgt werden. Einem Familienmitglied, hast du gehört? Renate und ich haben uns die ganze Zeit engagiert. Jetzt bist du dran.«
»Es gibt ausgezeichnete Pflegerinnen, und außerdem übernehme ich selbstverständlich einen Teil der Kosten. Das ist jetzt wirklich mein letztes Wort«, sage ich erbost.
Dieses Mal legt Wolfgang zuerst auf. Ich überlege, ob ich nochmals anrufen soll, da höre ich etwas im Garten und stürze nach draußen, in Panik, dass es Papa womöglich wieder schlechter geht. Aber alles scheint in Ordnung zu sein. Er sitzt wie vorhin im Rollstuhl, sehr aufrecht, winkt mich zu sich heran, und ich setze mich auf die Gartenbank, nehme seine Hand. Im Moment fühle ich mich leider gar nicht gut.
»Dorle, wird schon wieder werden«, murmelt er.
Ich schaue ihn forschend an. Auf keinen Fall kann er etwas von meinem Gespräch mit Wolfgang gehört haben, da bin ich mir ganz sicher. Aber könnte es vielleicht sein, dass eine beginnende Demenz mit erhöhter Sensibilität einhergeht? Oder war das gerade nur eine ganz allgemeine Äußerung, wie eine Bemerkung über das Wetter?
Eine Weile lang schweigen wir beide, und ich hänge meinen Gedanken nach. Was eher ungünstig ist, weil die im Moment ziemlich düster sind. Eine Schulter zum Anlehnen wäre jetzt angebracht. Ich finde, das ist eine passende Aufgabe für meinen Herzallerliebsten.
»Papa, sei mir nicht bös, aber ich muss noch mal telefonieren«, sage ich, und er nickt verständnisvoll.
Als ich im Wohnzimmer stehe und das Hörgerät neben dem Fernseher entdecke, wundere ich mich dann doch. Ist Papa womöglich schon so weit, dass er immer nickt, egal, ob er etwas verstanden hat oder nicht? Wird er es verkraften, wenn ich morgen schon wieder fahre? Was ist, wenn sich sein Zustand deshalb verschlechtert? Ganz unvermittelt überflutet mich eine Welle von Schuldgefühlen, die sich aber schnell legt, als ich aus dem Fenster schaue. Herr Stützle, den Gartenschlauch in der Hand, steht am Zaun. Papa unterhält sich mit ihm, ganz angeregt, wie es scheint.
Ich rufe Rudolf an. Schnell stellt sich allerdings heraus, dass er sein Handy vergessen hat; es klingelt nämlich oben im Zimmer. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als es in der Werkstatt zu versuchen, bei Herrn Huber, dem ungeheuer humorvollen Kfz-Meister aller Klassen.
»Huber«, meldet sich eine verschlafene Frauenstimme nach endlosem Klingeln (bei
Creativa
wäre beides ein sofortiger Kündigungsgrund!). »Was isch denn los?«
»Ich müsste mal kurz meinen Mann sprechen. Er ist bei Ihnen wegen eines Motorschadens und ...«
»Mir hond seit de sechse zua. Ruafet Se doch morge no mol a.«
»Halt, warten Sie, nicht auflegen!«, rufe ich, aber da ist es schon zu spät. Sofort drücke ich die Wahlwiederholungstaste.
»I han grad gseit, dass mr gschlosse hond.«
»Frau Huber, das ist jetzt ein dringender Notfall! Mein Mann ist bei Ihnen. Rudolf Dvořák, mittelgroß, schlank, graumelierte Locken.«
»Ach so, dr Herr Dokter, des hettet Se au glei sage kenna ... Abr der isch nemmer do, der isch mit dr Moni weggange.«
»Mit Moni?«, frage ich völlig verwirrt. »Aber was macht denn Moni bei Ihnen?«
Frau Huber lacht laut auf. »Ja warum soll die Moni au it do sei? Des Mädle isch doch die Dochter von dr Schwester. Und außerdem hilft d’ Moni manchmal im Birro, Telefon bediena und solche Sache. Wenn i mi recht erinner, hend dr Herr Dokter und sia vorhin scho ausgmacht, dass er no amole vorbeikommt heit Obend. Soll i vielleicht ebbes ausrichta?«
Wie betäubt lege ich auf. Während ich hier bei immer noch hochsommerlichen Temperaturen in der Küche unter Einsatz aller Kräfte zu backen versucht habe, amüsiert Rudolf sich mit dem Miststück. Das werde ich ihm nie verzeihen! Womit ich auch gleich anfangen kann, denn es klingelt Sturm. Und tatsächlich ist es mein ehemaliger Herzallerliebster, ein bisschen durcheinander noch (vermutlich vom gerade absolvierten Liebesvorspiel), denn er hat anscheinend vergessen, dass er einen Hausschlüssel mitgenommen hat.
»Ich hab solche Sehnsucht nach dir gehabt«, sage ich so was von scheißfreundlich, denn in Sekundenschnelle habe ich meine ursprüngliche Strategie umgeworfen. Mehr
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