Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
Weile lang sitze ich neben ihr auf dem Fußboden, kraule sie am Kopf, lausche ihrem Schnurren und überlege, ob ich mir nicht lieber einen Kater als Rudolfs Nachfolger zulegen sollte, ein Gedanke, den ich dann doch wieder verwerfe, wenn ich an meine Wohnung in Berlin denke (fünfter Stock und jede Menge Verkehr vor dem Haus). Ich sollte es vielleicht doch noch mal mit Rudolf versuchen.
In der Speisekammer finde ich einen Schuhkarton mit Arzneimitteln, von denen ich die Hälfte gleich mal entsorge, weil ihre Verwendbarkeit schon ewig abgelaufen ist. Zwei nette kleine blaue Pillen (zur Kräftigung von Haaren, Festigung von Finger- und Fußnägeln sowie zur Erlangung eines attraktiven, gesunden Hautbildes, verwendbar bis 2005) stecke ich aber ein. Ich bin mir sicher, dass auch bei Rudolf der gute alte Placeboeffekt wirkt.
Womit ich allerdings nicht gerechnet habe: Mein Patient schläft inzwischen tief und fest, ich höre es schon auf der Treppe. Schade, denke ich, bestimmt hätte ich in dieser Nacht so einiges aus ihm rausgekriegt.
9. Kapitel
Anstelle frischer Seelen, wie ich – ehrlich gesagt – gehofft habe, liegt ein mehrfach zusammengefalteter Zettel im Brotkorb auf der Anrichte; die Einkaufsliste von gestern, vermute ich zuerst, aber die findet sich dann auf dem Küchentisch, und ich nehme mir vor, sie noch zu ergänzen.
Aber vorher werde ich Frau Blumer nach einem Wundermittel für den Herd fragen, der immer noch die unschönen Spuren meines gestrigen Experiments zeigt und bestimmt das Herz jeder schwäbischen Hausfrau bluten lässt. Ich wundere mich schon ein wenig, dass unsere gute Frau Blumer jetzt um halb neun noch nicht da ist, werfe einen Blick ins Wohnzimmer, dann ins Arbeitszimmer, aber außer mir scheint keine Menschenseele im Erdgeschoss zu sein.
Jeanny kommt die Treppe herunter, streicht mir um die Beine, aber als ich sie streicheln will, verschwindet sie mit einem Satz durch das geöffnete Küchenfenster. Ich beschließe, meine Zärtlichkeitsanwandlung lieber aufzusparen (für Rudolf?), setze erst einmal Kaffeewasser auf, hole die Zeitung von draußen und will es mir gerade gemütlich machen, da fällt mir der Zettel im Brotkorb wieder ein. Womöglich eine Liebeserklärung von Rudolf, spät in der Nacht hier noch hingelegt, um mich zu überraschen? Ein Danke dafür, dass ich gestern Abend Händchen gehalten habe? Ein nettes kleines Liebesgedicht vielleicht? Gut gelaunt angle ich nach dem Zettel und lese:
Leider kann ich meine Pflichten in Ihrem Haushalt
auf unabsehbare Zeit nicht mehr wahrnehmen
.
Wegen Erkrankung
.
Hochachtungsvoll
Ihre Hildegard Blumer
Eine Kündigung! Und das auf leeren Magen! Frau Blumer fällt also aus, auf unabsehbare Zeit, was vermutlich so viel heißt wie auf ewig, Wolfgang und Renate sind damit beschäftigt, ihre Ehe zu kitten, meine Annonce in der Zeitung erscheint frühestens am Dienstag, und dann ist noch nicht einmal sicher, dass sich auch sofort eine tüchtige Pflegekraft findet. Was auf gut Deutsch heißt, dass ich mir irgendwas einfallen lassen muss – und zwar blitzschnell. Wie betäubt gieße ich das Kaffeewasser auf.
»Guuuten Morgen«, trällert es gut gelaunt hinter mir.
Rudolf, geduscht und frisch rasiert, sieht schon wieder wie das sprichwörtliche blühende Leben aus, kein Wunder, so gut wie er geschlafen hat, während ich mich die halbe Nacht mit meinen Sorgen herumgewälzt habe. Das Leben ist ungerecht, aber das wissen wir ja!
»Was gibt’s denn Feines zum Frühstück?«
Kommentarlos schiebe ich ihm den Zettel hin.
»Oh, dann sieht es mit Frühstück aber schlecht aus«, stellt er bedauernd fest. »Oder ist noch was vom Hefezopf da? Mit Butter und Marmelade schmeckt der bestimmt noch tadellos.«
Ich starre ihn entgeistert an. Rudolfs Gedächtnis scheint gewaltig gelitten zu haben – womöglich schon altersbedingt? »Der Zopf ist dir gestern Abend nicht so gut bekommen«, erinnere ich ihn. Davon, dass ich den Rest mit Hochgenuss entsorgt habe, muss ich ja nichts sagen.
Rudolf grinst mich an. »Das ist Schnee von gestern. Komm, Doreen, jetzt mach mal ein anderes Gesicht. Du kriegst das alles in Griff, wie ich dich kenne. Du als echte Powerfrau.«
Als er mich an sich zieht, bin ich schon wieder ein klein wenig versöhnt.
Papa scheint heute einen guten Tag zu haben; er sitzt angezogen auf seinem Bett, hat sich sogar eine Krawatte umgebunden – ein bisschen schief zwar, aber bei Rudolf ist das meistens auch nicht anders. Mit meiner
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