Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
eine verdammt lange Weile, bis ich wieder einigermaßen klar denken kann, was dann allerdings auch kein Vergnügen ist. Tatsache ist nämlich, dass ich mit zwei Flaschen Champagner und weiß Gott was für Sehnsüchten dasitze, während Rudolf sich mit dem Miststück auf der Liegewiese vergnügt. Er wird ihr genussvoll den Rücken eincremen und was weiß ich was noch alles. Seufzend lasse ich mich rückwärts aufs Bett fallen und starre die Decke an. Was denkt Rudolf sich eigentlich dabei?
Nachdem ich seine Nachricht einer zweiten (und eingehenden) Analyse unterzogen habe, sehe ich die Welt bereits wieder etwas entspannter. Klingt nicht in der Formulierung
du lobst mich dafür
an, dass er es eigentlich nur für mich macht? Schließlich war ich diejenige, die ihm geraten hat, gegen seine Ängste anzugehen. Wenn er nur den Prosecco nicht mitgenommen hätte! Was nebenbei bemerkt völlig überflüssig ist, denn Moni ist ohne auch gut drauf. Doch die Formulierung
Du kommst doch nach, oder?
gefällt mir nicht unbedingt, vor allem das
oder
stört mich gewaltig. Ich finde, es klingt sehr halbherzig, und je länger ich darüber nachdenke, umso mehr lese ich heraus: Komm bloß nicht nach!
Mir wird also nichts anderes übrig bleiben, als ebenfalls zum Steegersee zu fahren – ein Entschluss, der weitreichende Folgen haben kann (die ich mir im Moment noch gar nicht ausdenken mag) und dementsprechend gut überlegt sein muss. Erfreulich, dass der Champagner im Eisfach inzwischen schon gut gekühlt ist. Ich gönne mir ein Gläschen, trinke – allen Widrigkeiten zum Trotz – optimistisch auf meine Zukunft in Berlin, natürlich mit Rudolf zusammen, vorzugsweise in einer lichtdurchfluteten Fünfzimmer-Altbauwohnung mit Stuck an den Decken und einem riesigen Whirlpool im Bad.
Da die Götter bekanntermaßen vor den Erfolg den Schweiß gesetzt haben, mache ich mich an die Arbeit. Während die elektrischen Lockenwickler auf meinem Kopf ihren Job machen, gönne ich mir noch ein Schlückchen Schampus und sichte meine Garderobe.
Relativ rasch wird klar, dass ich auf keinen Fall in meinem dunkelblauen Badeanzug aufkreuzen kann, mit dem ich garantiert in jedem Bewegungsbad groß rauskäme – aber keinesfalls neben Monis garantiert äußerst knappem Bikini. Etwas psychologische Unterstützung durch Yasemin täte mir jetzt gut, vor allem weil ich feststelle, dass ich die Lockenwickler gar nicht aufgeheizt habe. Leise schimpfend darf ich nochmal von vorn anfangen und schenke mir deshalb zur Beruhigung das nächste Glas ein. Das brauche ich jetzt einfach.
Auf dem Bett liegen die Kleidungsstücke, die ich so ungefähr in die engere Wahl ziehe. Ein schickes weißes Leinenkleid, das – wenn man die Angelegenheit realistisch betrachtet – leider für einen Freibadbesuch völlig overdressed ist und damit schon mal ausfällt. Dasselbe gilt auch für das Seidenkleid im Ethnolook, und bei der hellen Dreiviertelhose, meiner letzten Rettung, hängt der Knopf nur noch an einem einzigen Faden. Was man aber beheben könnte, vorausgesetzt, man hat Lust dazu. Das Telefon reißt mich aus meinen äußerst deprimierenden Betrachtungen. Doch es ist nicht Yasemin, wie ich gehofft habe, sondern ...
»Renate!«, rufe ich erstaunt, nachdem ich kapiert habe, wer das schluchzende Wesen am anderen Ende der Leitung ist. Und sofort schrillen bei mir sämtliche Alarmglocken, denn dass meine Schwägerin dermaßen aufgelöst ist, habe ich noch nie erlebt.
»Ich muss unbedingt mit dir reden ... Kennet mir uns it treffe?«
»Geht es um Wolfgang?«, frage ich schnell.
»Wolfgang?« Ihre Stimme klingt irritiert, und sie scheint sich wieder einmal nicht zwischen Schwäbisch und Hochdeutsch entscheiden zu können. »Noi, des it. Aber es isch trotzdem wichtig, ungeheuer wichtig sogar, weil i die Einzige in dieser Familie bin ...«
Aha, Renate sucht vermutlich mal wieder küchenpsychologische Betreuung. Da ist sie bei mir heute allerdings an der falschen Adresse. Soll sie sich doch endlich eine andere Therapeutin suchen. Zu gut erinnere ich mich noch an ihren letzten Zusammenbruch, zwar in etwas milderer Form, aber es reichte, um mir den ganzen Tag zu verderben. Meine Schwägerin hatte damals versehentlich anstelle von zweihundertfünfzig Gramm Zucker zweihundertfünfzig Gramm Salz in den Marmorkuchenteig geschüttet, was sich erst herausstellte, als die Besucher des Kuchenbasars der Pfarrgemeinde es sich bei Kaffee und Kuchen gemütlich machen wollten. Jetzt habe ich
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