Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
jedenfalls keine Lust, mir Renates neueste Fehlleistungen anzuhören – und vor allem keine Zeit. Außerdem finde ich, dass sie wirklich alt genug ist, ihre Probleme selbst zu lösen. Ich mache das schließlich auch.
Während Renate endlos lamentiert, fällt mir ein, dass ich ja meine neuen Peep-Toe-Pumps anziehen könnte, eine Perspektive, die in Verbindung mit einem weiteren Gläschen Champagner meine Laune und mein Selbstwertgefühl ganz beträchtlich verbessert. Doch darüber, wie sich die Sieben-Zentimeter-Absätze auf der Liegewiese am Steegersee ausnehmen, will ich erst gar nicht nachdenken. Außerdem überrage ich Rudolf damit um ein gutes Stück, aber das hat er jetzt verdient. Genau, geschieht ihm recht, denke ich vergnügt, kratze mit den Fingernägeln das Preisschild von der Schuhsohle und genehmige mir noch ein Glas.
Ich greife wieder nach dem Telefon, das ich der Einfachheit halber aufs Bett gelegt habe, und höre Renate immer noch jammern. »Wird schon wieder werden«, sage ich betont aufmunternd, was allerdings überhaupt nicht passt, denn sie schluchzt nur noch lauter. Sie könne das alles nicht mehr ertragen, und wir müssten unbedingt unter vier Augen miteinander reden. Ob sie gleich bei mir vorbeikommen könne?
»Geht nicht! Bin wahnsinnig beschäftigt!« Da ich vermute, dass diese Tatsache sie nicht im Geringsten beeindruckt, füge ich hinzu: »Nicht nur du hast Probleme. Ich muss um Rudolf kämpfen, wenn du es genau wissen willst. Und deshalb werde ich jetzt auflegen und auf der Stelle zu einer atemberaubenden Sexbombe mutieren.«
»Aber es geht doch um innere Werte!«, ruft sie schockiert.
Ich schlüpfe zufrieden in meine neuen Pumps. »Natürlich, du hast vollkommen recht. Aber in deinem eigenen Interesse sollten diese inneren Werte auch immer möglichst verführerisch verpackt sein.«
Mehr psychologische Beratung kann Renate heute von mir wirklich nicht erwarten. Und jetzt muss ich wirklich los, wenn ich vor Kassenschluss noch am Steegersee sein will. Ich lege auf. Wenig später verlasse ich das Haus.
Stützles schwächeln, stelle ich beunruhigt fest, als ich sehe, dass ihr Fensterplatz verwaist ist. Aber als ich mich ins Auto setze und losfahre, sind die beiden bereits wieder auf ihrem Posten, und ich bin beruhigt: Wenn doch nur alles im Leben so berechenbar wäre wie unsere lieben Nachbarn.
Meine Stimmung ist hervorragend, was vielleicht auch an dem Champagner liegen könnte, der eine sehr belebende Wirkung auf mich hat. Ich sprühe förmlich vor Energie. Am Steegersee werde ich mich zwischen die beiden setzen (im Yogasitz, macht eine elegante Haltung), Rudolf zärtlich im Nacken kraulen und ihm das ins Ohr flüstern, was er am liebsten hört. Nach aller Erfahrung dauert es dann maximal noch zehn Minuten, bis Rudolf unruhig wird, und wir werden uns dann leider, leider von Moni verabschieden müssen.
So weit mein Plan, und er wird auch klappen, vorausgesetzt, ich komme heute überhaupt nochmal am Steegersee an. Wonach es im Moment eher nicht aussieht; ich befinde mich, soweit ich das überblicken kann, in einer endlosen Schlange, nicht einmal Stop-and-go geht hier mehr. Von solchen Widrigkeiten lasse ich mir aber nicht die Stimmung verderben. Ich drehe Klimaanlage und Radio voll auf, singe lauthals mit: »What a feeling«, und habe ausgiebig Zeit, mir die Passanten anzuschauen, wobei ich zufrieden feststelle, dass ich hier nicht die einzige Frau mit leichtem Übergewicht bin – im Gegenteil. Zwei Frauen, augenscheinlich
dicke Freundinnen
, fallen mir besonders auf, sie blockieren fast den gesamten Bürgersteig, und der Mann dahinter, dessen lachendes Gesicht ich nur für Sekunden sehe, ist ... Rudolf!
Im ersten Moment will ich aus dem Auto springen, ihm hinterherrennen, ihn zur Rede stellen, aber dann bleibe ich doch sitzen und stelle erst einmal das Radio leiser. Als ich mich noch einmal umdrehe, ist von Rudolf nichts mehr zu entdecken, auch die beiden Frauen sind verschwunden, und ich überlege, ob ich bereits Gespenster sehe oder einfach zu viel Champagner intus habe. Doch als ich auch noch eine blonde Mähne in der Menge entdecke (natürlich! Es ist Moni, keine Frage!), ist mir klar: Ich muss sofort handeln.
Was allerdings leichter gesagt als getan ist.
Nach endlos langen Minuten, in denen ich bösen Fantasien nachhänge, die mir auch bei einem äußerst wohlmeinenden Richter mindestens zwei Jahre Gefängnis ohne Bewährung einbringen würden, rollt der Verkehr endlich
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