Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
gerade dabei, die Brezeln dick mit Butter zu bestreichen.
»Seit wann bist du wieder da?«, frage ich erstaunt.
»Fünf Minuten vielleicht? Willst du auch ’ne Brezel? Und noch einen Schluck Kaffee?«
Verwirrt nicke ich. Rudolf legt Papa eine Butterbrezel auf den Teller, schenkt ihm Kaffee ein, fragt, ob er ihm die Milch warm machen solle und ob er Zucker nehme. Ich habe keine Ahnung, wo so plötzlich der Prosecco herkommt, den er uns gerade einschenkt, »damit der Kreislauf angeregt wird«, wie er lächelnd verkündet. Ehrlich gesagt, ich finde, Rudolf entwickelt sich zu einer zweiten Frau Blumer – allerdings um Klassen besser.
Es ist ein äußerst vergnügliches Frühstück bei uns in der Küche. Jeanny, von ihrem Morgenspaziergang zurück, liegt auf meinem Schoß, haart und schnurrt wie ein Weltmeister, während ich sie streichle, Papa hat die
Schwäbische
vor sich liegen, blättert mehrmals um, und als ich ihn schließlich in den Garten schiebe – er raucht dort die einzige Zigarette des Tages –, nimmt er sogar die Zeitung mit.
Rudolf wirkt so entspannt wie schon lange nicht mehr, als ich mich wieder neben ihn setze.
»Aulendorf bekommt mir sehr gut«, stellt er fest. »Ich habe den Ort direkt ins Herz geschlossen. Und ich kenne mich inzwischen aus. Stell dir vor, ich war nämlich heute Morgen in sämtlichen Bäckereien, bis ich endlich in der Zeppelinstraße noch die letzten vier Seelen bekommen habe.«
Jetzt ist ein motivierendes Lob unbedingt angebracht, finde ich und rufe voller Begeisterung aus: »Das hast du aber ganz prima gemacht!«
Leider hat er bei seinem Streifzug auch mitbekommen, dass Schlossfest ist – was ich ihm liebend gern verschwiegen hätte. Zu gut erinnere ich mich nämlich an diverse Straßenfeste in Berlin, auf denen Rudolf sich im Gegensatz zu mir hervorragend amüsiert hat, umringt von Verehrerinnen, die unbedingt ein Autogramm von ihm wollten. Denn mein Herzallerliebster ist sozusagen eine lokale Berühmtheit. Zwei Jahre lang hat er bei einem lokalen Fernsehsender eine Nachmittagstalkshow moderiert, Experten über weltbewegende Themen befragt wie:
Unsere kleinen Küchenhelfer – wie sinnvoll sind sie überhaupt?
Oder:
Hilfe – mein Hund will nicht mehr mit mir Gassi gehen
. Ich weiß das alles nur, weil Rudolf mir in einer schwachen Minute seine Videokassettensammlung gezeigt hat.
»Und in der Bäckerei habe ich irgendwas von Rutenfest gehört«, meint er und setzt sein Berliner Partylöwen-Grinsen auf. »Da müssen wir natürlich hin.«
Ich lächle kühl. »Da hast du einiges falsch verstanden. Erstens ist das Rutenfest in Ravensburg, zweitens immer am Ende eines Schuljahres, also bereits vorbei, und ...«
»Gut, von mir aus dann eben Schlossfest«, unterbricht er mich. »Hauptsache, es wird gefeiert.«
»Moni hat übrigens vorhin angerufen«, sage ich unvermittelt.
Der Überraschungsangriff scheint gelungen. Rudolfs linkes Augenlid zuckt, kaum wahrnehmbar zwar, aber mir fällt es natürlich auf.
»Moni? Aha«, meint er und sieht mich fragend an.
Ich lasse ihn noch einen Moment schmoren, dann sage ich fröhlich: »Ja, stell dir vor, sie möchte sich mit uns treffen. Ich hab auch gleich zugesagt.«
»Dann kann ich ja schlecht dagegen sein.« Sogar einem Halbblinden würde auffallen, wie Rudolf plötzlich den Bauch einzieht und die Schultern nach hinten drückt. »Und wo treffen wir uns?«
Ich bin mir sicher, er träumt bereits von einem heißen Sommernachtsflirt mit Moni auf dem Schlossfest, am Himmel der Vollmond. Ich kann seine wilden Fantasien förmlich riechen. Genüsslich lasse ich schließlich das Bömbchen platzen: »Wir treffen uns nachher am Steegersee.«
»Freibad?«
Ich nicke, während Rudolf buchstäblich in sich zusammenfällt. »Du weißt doch genau, wie sehr ich Freibäder hasse.«
Ich lächle mein therapeutisches Lächeln und lege meine Hand auf seine. »Rudolf, sieh mal, es gibt so vieles, was man überwinden kann. Deine Angst vor Freibädern beispielsweise. Ich verstehe voll und ganz, dass es für dich natürlich sehr unangenehm ist, als vermutlich einziger Mann am Steegersee dermaßen käsig auszusehen. Um dich herum nur braungebrannte, durchtrainierte Naturburschen. Das ist hart, keine Frage. Aber du kannst schließlich nichts dafür, dass du Sportmuffel bist und der Berliner Sommer dieses Jahr so verregnet war.«
Ich schiebe Jeanny sacht von meinem Schoß – jetzt braucht Rudolf meine volle Zuwendung – und füge hinzu: »Wenn du
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