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Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)

Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)

Titel: Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Zimmermann
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kostbare Minuten länger zusammen sein konnten. Mehr war nicht möglich; Ulis Mutter verlangte absolute Pünktlichkeit, und wenn er sich einmal doch verspätete, stand sie bereits an der Haustür und drohte mit der Polizei. Heute weiß ich, dass sie krank war, aber damals habe ich sie nur gehasst.
    »Sollen wir uns setzen? Da vorn, auf die Bank?«, schlägt Uli vor.
    Mir ist es recht, denn schon wieder dreht sich das Karussell in meinem Kopf wie verrückt. Ich lasse mich auf die Bank fallen; sie ist neu, aus weißem Kunststoff, und längst nicht so bequem wie die alte Holzbank, die einmal hier stand. Alles ist vergänglich, denke ich wehmütig, nicht nur die Holzbänke. Ich seufze.
    »Geht’s dir arg schlecht, Dorle?«
    »Noch viel, viel schlechter«, sage ich mit düsterer Stimme. »Mein Leben ist die totale Katastrophe. Ich habe einen Job, der immer nur um ein halbes Jahr verlängert wird, ich habe eine Beziehung zu einem Mann, der ständig anderen Frauen nachrennt, und als Krönung des Ganzen wird Papa auch noch dement. Und da fragst du, wie es mir geht! Und zudem«, rufe ich, bevor Uli etwas erwidern kann, »habe ich vorhin Papas Auto zu Schrott gefahren! Ach Uli, das Leben ist einfach bescheuert. Warum kann ich nicht auch mal richtig Glück haben?«
    »Das Gefühl kenne ich gut«, sagt er nach einer Weile. Er zögert, dann fährt er fort, so leise, als würde er mit sich selbst sprechen: »Manchmal muss man eben sein Leben ändern, damit das Glück überhaupt eine Chance hat.«
    »Nichts einfacher als das«, murmle ich. Ich habe den Kopf nach hinten gelegt und starre in die Baumwipfel. »Ich sage meiner Chefin, dass sie mir gefälligst einen unbefristeten Vertrag geben soll. Und dass sie auf keinen Fall ihren Laden gegen die Wand fahren darf, weil ich dann wieder auf der Straße stehe. Stellst du dir das so vor? Ja? Und Rudolf befehle ich, dass er nur noch mich zu lieben hat. Weiber wie Moni sind ab sofort für ihn tabu.« Ich blinzle. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich schwören, eine Sternschnuppe gesehen zu haben, aber es ist gerade mal halb acht und taghell.
    »Man muss wissen, für was es sich zu leben lohnt.« Uli hat sich nach vorn gebeugt, stützt die Ellbogen auf die Knie.
    »Das hilft mir auch nicht weiter«, erwidere ich und schniefe. »Wenn das so einfach wäre. Schließlich hängt es auch von Rudolf ab.«
    »Liebst du ihn? ... Pst, sag nichts«, flüstert er und legt mir den Zeigefinger sacht auf die Lippen. »Mir sollst du die Frage nicht beantworten. Nur dir selbst.«
    Als Uli die Haustür aufschließt – ich habe ihm wortlos den Schlüssel in die Hand gedrückt –, steht Rudolf im Flur.
    »Ooh«, macht er und runzelt die Stirn, »hat da jemand gefeiert? Und ein bisschen zu viel getankt?« Er kneift mich in den Oberarm, und als ich empört aufschreie, stellt er grinsend fest. »Ist noch Leben drin, da bin ich ja beruhigt. Steht dir übrigens gut, dieser entrückte Gesichtsausdruck.«
    »Ich habe keinen entrückten Gesichtsausdruck!«, sage ich nachdrücklich. »Da liegst du phänomenologisch total daneben.« Erstaunlich, aber ich schaffe diesen Satz ohne ein einziges Stottern. Was beweist, dass ich wieder voll da bin.
    Uli verabschiedet sich, flüstert mir zu, er werde sich um das Auto kümmern (ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, dass ich ihm davon erzählt habe), und dann sind Rudolf und ich allein. Ich lehne mich an die Küchentür, verschränke die Arme und mustere ihn. »Und?«
    Kurzes Auflachen von Rudolf. Er zuckt mit den Schultern. »Was
und
? Was willst du hören?«
    »Was wohl?«
    »Mein Gott, mach doch nicht so ein Theater. Das war alles nur ein dummes Missverständnis, sonst nichts, und du kannst dich auch gleich wieder abregen. Übrigens habe ich ’ne Überraschung für dich.«
    »Mich interessiert keine Überraschung und auch keine blöde Ausrede! Von wegen Missverständnis! Dass ich nicht lache! Du hast doch niemals vorgehabt, ins Freibad zu gehen. Du wolltest mit Moni aufs Fest und mir weismachen, dass ihr am Steegersee seid. Da hätte ich euch dann den ganzen Nachmittag suchen können. Für wie blöd hältst du mich eigentlich!«
    Ich rede lieber nicht weiter, sonst heule ich womöglich noch los. Das fehlt gerade noch. Wo ich mich ohnehin schon aufrege, weil die Rollen wieder einmal genauso verteilt sind wie bei jedem Streit, den wir bisher hatten (und wir hatten einige!): ich emotional, Rudolf total cool. Und jetzt darf man raten, wer immer den Kürzeren

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