Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
hoffe es wenigstens), und sogar meine Frisur sitzt noch so einigermaßen passabel. Weil ich wild entschlossen bin, das Beste aus meiner Situation zu machen, beschließe ich, einfach nicht mehr an Moni und ähnliche Katastrophen zu denken. Einem angenehmen Abend steht also nichts mehr im Weg, als wir wenig später im Taxi nach Schussenried sitzen.
Rudolf drückt zärtlich meine Hand, ist aufgeregt wie vor einer wichtigen Vernissage, und ich staune mal wieder: Den blöden Spruch, Essen sei der Sex des Alters, habe ich immer als Unsinn abgetan, aber jetzt, als ich Rudolf so schwärmen höre, bin ich mir da nicht mehr sicher. Mit Schmelz in der Stimme erzählt er mir von einer Taubenbrust mit Muskatkürbispüree, die er in München gegessen habe, bei einem Treffen mit russischen Geschäftsfreunden.
»Und als Vorspeise gab es einen wahren Traum von einem Thunfischcarpaccio mit dieser ganz speziellen Vinaigrette aus Passionsfrüchten, und dann erst dieser Auberginen-Kaviar mit Pinienkernen. Doreen, eine wahre Offenbarung.« Er beugt sich nach vorn zum Fahrer. »Sie kennen sich doch bestimmt hier aus. Was spricht man denn so über das
La petite Casserole
?«
»Übers Kasseroll? Ha, i würd etzt sage, nix Schlechts. I ess da immer mei Bratwurscht.«
Rudolf lacht herzlich über diesen kleinen Scherz, gibt sogar ein extra dickes Trinkgeld, aber ich habe leichtes Grummeln im Bauch, als wir das Restaurant betreten. Doch meine Befürchtungen scheinen völlig grundlos zu sein, das
Casserole
sieht aus, wie ein französisches Feinschmeckerlokal der oberen Liga vermutlich auszusehen hat (meine Erfahrungen sind hier allerdings sehr überschaubar, eigentlich gleich null). Rudolf jedenfalls ist vom Ambiente äußerst angetan, vergibt schon mal vier von fünf möglichen Punkten.
»Ich vergehe vor Appetit«, flüstert er mir zu, und mich stört lediglich, dass er dabei der jungen Bedienung nachstiert, deren wilde rote Lockenpracht jede normale Frau erblassen lässt, und mich ganz besonders. Davon abgesehen vergehe auch ich vor Hunger, denn seit dem Frühstück habe ich nichts mehr zu mir genommen, Flüssignahrung einmal ausgenommen.
»Wenn Sie uns schon mal die Weinkarte bringen würden!«, ruft Rudolf der Bedienung zu und beugt sich über den Tisch zu mir herüber. Ich schaffe es in letzter Sekunde, die Kerze beiseitezuschieben, bevor sein Jackettärmel in Flammen steht.
»Bestimmt gibt es hier nur Spitzenweine«, sagt er mit beschwingtem Lächeln. »Doreen, du könntest mir ruhig mal ein wenig Anerkennung zollen. Wenn ich nicht mit Moni auf dem Schlossfest gewesen wäre, hätte ich kein Los gezogen, und wir wären …«
»Karte kommt gleich!«, unterbricht ihn die Bedienung, die gerade am Tresen Gläser poliert.
Höre ich da nicht einen leichten sächsischen Tonfall heraus? Ich persönlich finde das ja nicht weiter tragisch, aber Rudolf zuckt sofort zusammen, und mir fällt auch gleich ein, dass eine meiner vielen Vorgängerinnen aus Dresden kam – eine sehr unglückliche Beziehung, wie er mir irgendwann gestand. Jene Experimentalphysikerin hatte ihm nämlich eine seiner schlimmsten Niederlagen bereitet: Sie hatte ihn an der Raststätte Freienhufener Eck an der A 13 einfach entsorgt, war wortlos davongefahren. Das Letzte, was Rudolf von Vera gesehen hatte in dieser frostigen Novembernacht, waren die Rücklichter ihres altersschwachen Ladas.
Ich ahne, wie es gerade in seinem Innersten aussieht, lege mitfühlend meine Hand auf die seine, und die heilsame Kraft der Berührung, wie Yasemin immer behauptet, wirkt prompt. Rudolf verdrängt erfolgreich sein Fiasko, wie ich an seinem dankbaren Blick erkenne.
»Was können Sie uns heute empfehlen?«, fragt er Miss Hair, die inzwischen herbeigeeilt ist.
Ich sitze mit offenem Mund da. Unglaublich! Ist die Haarpracht wirklich echt? Ich muss mich beherrschen, ihr nicht in die Mähne zu greifen.
Miss Hair hat den Bestellblock gezückt, richtet ihren Blick ins Ungewisse und rattert los: »Kässpätzle und Salat, Leberspätzle ohne, Linsen mit Spätzle, Saiten, Hausmacher-Vesperplatte, gebackener Leberkäs, saure Nierle, Kutteln, Gaisburger Marsch …«
Rudolfs entsetzte Reaktion (er springt mit hochrotem Gesicht auf, stößt hervor, er wolle sofort den Geschäftsführer sprechen) führt dazu, dass Miss Hair sich panisch hinter den Tresen flüchtet. Kurze Zeit später (ich habe mittlerweile beide Hände auf Rudolfs Hand gelegt, sicher ist sicher) erscheint ein stämmiger Mann mit
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