Seelen der Nacht
Tiefen seines Tees. »Bis auf dich. Die Frage ist, wie und warum.«
»Die Vorstellung, ich könnte die Bedingungen eines Bannes erfüllen, der vor meiner Geburt gesprochen wurde, ist noch abwegiger als die Idee, ich hätte von einer ungewollten Geburtstagsüberraschung profitiert. Und falls ich die Bedingungen wirklich erfüllt habe, warum ist das Buch dann beim zweiten Mal nicht mehr erschienen?« Matthew klappte den Mund auf, doch ich schüttelte den Kopf. »Nein, du hast nichts damit zu tun.«
»Knox versteht viel von Hexerei, und Bannsprüche sind wirklich kompliziert. Ich nehme an, es ist möglich, dass sie im Lauf der Zeit hin und wieder aus der Fassung geraten.« Er hörte sich nicht wirklich überzeugt an.
»Ich wünschte, ich könnte das Muster hinter alldem erkennen.« Vor meinem inneren Auge tauchte mein weißer Tisch auf mitsamt allen Puzzleteilchen. Doch wie ich die Teilchen auch anordnete – Knox, das Manuskript, meine Eltern –, es wollte sich kein Bild ergeben. Matthews Stimme riss mich aus meiner Konzentration.
»Diana?«
»Hmm?«
»Was machst du da?«
»Nichts«, antwortete ich viel zu schnell.
»Du setzt deine Magie ein«, stellte er fest und stellte seine Tasse ab. »Ich kann es riechen. Und sehen. Du schimmerst wieder.«
»Das tue ich immer, wenn ich ein Puzzle nicht lösen kann – so wie jetzt.« Ich hatte den Kopf gesenkt, weil er mir nicht ansehen sollte, wie schwer es mir fiel, darüber zu sprechen. »Ich sehe einen weißen Tisch vor mir und stelle mir dann alle Einzelteile vor. Sie haben verschiedene Farben und Formen und bewegen sich über die Tischfläche, bis sie ein Muster bilden. Sobald sich ein Muster gebildet hat, kommen sie zum Stillstand und zeigen mir dadurch, dass ich auf der richtigen Spur bin.«
Matthew blieb lange still, bevor er fragte: »Wie oft spielst du dieses Spiel?«
»Ständig«, gab ich widerwillig zu. »Während du in Schottland warst, wurde mir klar, dass auch das eine magische Gabe ist, so wie ich es spüre, was für ein Wesen mich ansieht, ohne dass ich mich dazu umdrehen muss.«
»Es gibt ein Muster, weißt du?«, sagte er. »Du setzt deine Magie immer dann ein, wenn du nicht darüber nachdenkst.«
»Wie meinst du das?« Die Puzzleteilchen begannen über die Tischfläche zu tanzen.
»Wenn du dich bewegst, dann denkst du nicht – wenigstens nicht mit deinem Verstand. Wenn du ruderst oder läufst oder Yoga treibst, bist du mit dem Kopf woanders. Und sobald dein Verstand die Magie nicht mehr unter Verschluss hält, tritt sie hervor.«
»Aber vorhin habe ich sehr wohl gedacht«, widersprach ich. »Und trotzdem gab es einen Hexenwind.«
»O ja, aber da haben dich deine Gefühle überwältigt.« Er beugte sich vor und setzte die Ellbogen auf die Knie. »Das weist den Verstand auf jeden Fall in seine Schranken. Als deine Finger erst bei Miriam und dann bei mir blau angelaufen sind, war das nicht anders. Dieser weiße Tisch, den du dir vorstellst, ist die Ausnahme von der Regel.«
»Stimmungen und Bewegungen reichen aus, um solche Kräfte auszulösen? Wer möchte da noch Hexe sein, wenn man so leicht solch ein Chaos anrichten kann?«
»Sehr viele, könnte ich mir vorstellen.« Matthew wandte den Blick ab. »Ich möchte dich um etwas bitten«, sagte er. Das Sofa quietschte, als er sich wieder zu mir umdrehte. »Und ich möchte, dass du dir die Antwort gut überlegst. Wirst du das tun?«
»Natürlich.« Ich nickte.
»Ich will dich heimbringen.«
»Ich fahre auf keinen Fall zurück nach Amerika.« Nach nur fünf Sekunden hatte ich seine Bitte vergessen.
Matthew schüttelte den Kopf. »Nicht in dein Heim. Mein Heim. Du musst aus Oxford verschwinden.«
»Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich nach Woodstock fahre.«
»Die Old Lodge ist mein Haus , Diana«, erklärte Matthew geduldig. »Ich will dich heim bringen – nach Frankreich.«
»Frankreich?« Ich schob mir die Haare aus dem Gesicht, um ihn besser sehen zu können.
»Die Hexen wollen Ashmole 782 in ihre Hände bekommen und das Manuskript dem Zugriff aller anderen entziehen. Bislang haben sie sich zurückgehalten, weil sie glauben, dass du den Bann absichtlich gebrochen hättest und weil du eine Bishop bist. Wenn Knox und die anderen begreifen, dass du keine Hexerei angewandt hast, um das Manuskript aus dem Archiv zu holen – dass sich der Bann für dich von allein gelöst hat –, werden sie wissen wollen, wie und warum das passiert ist.«
Ich schloss die Augen
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