Seelen der Nacht
Gurt.
»In der Nähe von Lyon, in der Auvergne.«
»In der Landesmitte?« Ich sah im Geist die Karte Frankreichs vor mir. Er nickte. »Stammst du von hier?«
»Ich wurde ganz in der Nähe geboren und wiedergeboren. Mein Heim – unser Familiensitz – liegt etwa eine Stunde entfernt. Wir müssten im Laufe des Vormittags dort eintreffen.«
Wir landeten auf dem Privatfeld des geschäftigen Regionalflughafens und ließen unsere Pässe und Reisedokumente von einem gelangweilt aussehenden Zöllner prüfen, der sofort Haltung annahm, als er Matthews Namen las.
»Reist du immer so?« Das war eindeutig bequemer, als mit einem Linienflug über London nach Paris zu fliegen.
»Ja«, antwortete er gelassen und ohne falsche Bescheidenheit. »Wenn ich reise, bin ich wirklich und absolut froh, dass ich ein Vampir bin und mit beiden Händen Geld ausgeben kann.«
Matthew blieb hinter einem Range Rover von den Ausmaßen eines französischen Departements stehen und angelte einen Schlüsselbund aus seiner Tasche. Er öffnete die Heckklappe und lud meine Taschen hinein. Der Range Rover war nicht ganz so luxuriös wie sein Jaguar, aber was ihm an Eleganz fehlte, machte er mit seiner Wuchtigkeit mehr als wett. Es war, als würde man in einem Panzerwagen reisen.
»Brauchst du wirklich so ein Auto, um in Frankreich herumzufahren?« Mein Blick schweifte über die glatten Straßen.
Matthew lachte. »Du hast das Haus meiner Mutter noch nicht gesehen.«
Wir fuhren nach Westen durch eine wunderschöne Landschaft, die hier und da mit erhabenen Châteaus und steilen Bergfronten durchsetzt war. In alle Richtungen erstreckten sich Felder und Weinberge, und selbst unter dem stahlblauen Himmel schien das Land in den Farben des Herbstlaubes zu leuchten. Ein Straßenschild wies nach Clermont-Ferrand. Das konnte, trotz der unterschiedlichen Schreibweise, kein Zufall sein.
Matthew fuhr weiter nach Westen. Schließlich bremste er ab, bog in eine schmale Straße und hielt am Straßenrand. Dann deutete er in die Ferne. »Da«, sagte er. »Sept-Tours.«
Inmitten der welligen Hügel lag ein Plateau, das von einem zinnengekrönten Gemäuer in Gelbbraun und Rosa beherrscht wurde. Sieben kleinere Türme umgaben es, und davor hielt ein mit Türmchen versehenes Torhaus Wache. Das war kein wunderschönes Märchenschloss für mondbeschienene Bälle. Sept-Tours war eine Bastion.
»Dort bist du daheim?« Ich schnappte nach Luft.
»Dort bin ich daheim.« Matthew holte das Handy aus der Tasche und tippte eine Nummer ein. »Maman? Wir sind gleich da!«
Am anderen Ende wurde etwas geantwortet, dann war die Verbindung tot. Matthew lächelte verkrampft und lenkte den Wagen zurück auf die Straße.
»Sie erwartet uns?«, fragte ich und gab mir dabei alle Mühe, das Beben in meiner Stimme zu unterdrücken.
»O ja.«
»Und sie ist mit allem einverstanden?« Ich verkniff mir die wahre Frage: »Bist du sicher, dass es in Ordnung ist, eine Hexe mit nach Hause zu bringen?«, musste sie aber gar nicht stellen.
Matthew blickte stur geradeaus. »Ysabeau mag Überraschungen deutlich weniger als ich«, bemerkte er heiter und bog auf einen Weg ein, der aussah wie ein besserer Ziegenpfad.
Wir fuhren eine Kastanienallee entlang bergauf, bis wir Sept-Tours erreicht hatten. Matthew lenkte den Wagen zwischen zwei Türmen hindurch und weiter auf einen gepflasterten Burghof vor dem Eingang zum Hauptgebäude. Rechts und links konnte ich streng angelegte repräsentative oder Englische Gärten erkennen, bis der Wald begann. Der Vampir parkte den Wagen.
»Bereit?«, fragte er mich mit einem strahlenden Lächeln.
»So bereit, wie ich nur sein kann«, antwortete ich argwöhnisch.
Matthew öffnete mir die Tür und half mir heraus. An meiner schwarzen Jacke zupfend, sah ich an der imposanten Steinfassade empor. Die abweisenden Burgmauern wirkten beinahe einladend, verglichen mit dem, was mich drinnen erwartete. Die Tür ging auf.
»Courage« , sagte Matthew und küsste mich sanft auf die Wange.
18
H oheitsvoll und eisig stand Ysabeau in der Tür ihres riesigen Châteaus und sah mit bohrendem Blick ihrem Vampirsohn entgegen, der neben mir die Treppe erklomm.
Matthew beugte sich gute dreißig Zentimeter nach unten, um sie sacht auf beide Wangen zu küssen. »Sollen wir hineinkommen, oder willst du uns lieber hier draußen empfangen?«
Seine Mutter trat beiseite, um uns vorbeizulassen. Ich spürte ihren wutentbrannten Blick und roch etwas, das mich an Sarsaparilla-Soda
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