Seelen der Nacht
reichen, trotzdem sollte sich Matthew nicht für mich schämen müssen. Wie immer wirkte er in seiner schlichten schwarzen Wollhose und dem neuesten Exemplar aus seinem endlosen Vorrat an Pullovern, allesamt vermutlich aus dichter, üppiger Kaschmirwolle, als käme er frisch von einem Mailänder Laufsteg oder aus einer Aufsichtsratsversammlung.
Oben durchwühlte ich meine Reisetasche und entschied mich für eine graue Hose und einen saphirblauen Pullover aus fein gesponnener Wolle mit engem, hochgeschlossenem Kragen und Glockenärmeln. Meine Frisur bildete eine Welle, nachdem ich erst gebadet hatte und die Haare dann abgeknickt unter meinem Kopf auf dem Sofa getrocknet waren.
Nachdem ich mich wenigstens halbwegs präsentabel fand, schlüpfte ich in meine Slipper und eilte die Treppe hinunter. Matthews scharfe Ohren erfassten meine Bewegungen, sodass er mich unten an der letzten Stufe erwartete. Als er mich sah, leuchtete ein breites, genüssliches Lächeln auf seinem Gesicht auf.
»In Blau gefällst du mir genauso gut wie in Schwarz. Du siehst bezaubernd aus«, murmelte er und küsste mich höflich auf beide Wangen.
In die prompt das Blut einschoss, als Matthew mein Haar über den Schultern anhob und die langen Strähnen durch seine Finger rinnen ließ. »Lass dich von Ysabeau nicht einschüchtern, ganz gleich, was sie sagt.«
»Ich werde es versuchen.« Ich lachte nervös und sah unsicher zu ihm auf.
Als wir in den Salon traten, saßen Marthe und Ysabeau bereits beisammen. Rund um seine Mutter verstreut lagen Zeitungen in allen größeren europäischen Sprachen sowie eine auf Hebräisch und eine auf Arabisch. Marthe wiederum las in einem Taschenbuchkrimi mit blutrünstigem Cover, und ihre schwarzen Augen zuckten beneidenswert schnell über die Zeilen.
»Guten Abend, Maman«, sagte Matthew und beugte sich vor, um Ysabeau auf beide kalten Wangen zu küssen. Ihre Nasenflügel bebten, als er sich erst links, dann rechts über sie neigte, und ihre eisigen Augen bohrten sich zornig in meine.
Ich wusste, womit ich mir diesen vernichtenden Blick eingehandelt hatte.
Matthew roch nach mir.
»Komm, Mädchen.« Marthe klopfte neben sich auf das Polster und schoss Matthews Mutter einen warnenden Blick zu. Ysabeau schloss die Augen. Als sie sich wieder öffneten, war der Zorn verflogen, und etwas wie Resignation war an seine Stelle getreten.
»Es gab noch einen anderen Tod«, murmelte Ysabeau auf Deutsch ihrem Sohn zu, als Matthew nach der deutschen Welt griff und mit einem angewiderten Grunzen die Schlagzeilen überflog.
»Wo?«, fragte ich. Offenbar war noch eine blutleere Leiche gefunden worden. Wenn Ysabeau glaubte, mich aus dem Gespräch ausschließen zu können, indem sie Deutsch sprach, hatte sie sich getäuscht.
»In München.« Matthew hatte das Gesicht in der Zeitung vergraben. »Mein Gott, warum unternimmt niemand etwas dagegen?«
»Sei vorsichtig, was du dir wünschst, Matthew«, sagte Ysabeau. Dann wechselte sie unvermittelt das Thema. »Wie war der Ausritt, Diana?«
Matthew linste seine Mutter misstrauisch über die Welt hinweg an.
»Wunderbar. Danke, dass ich auf Rakasa reiten durfte«, erwiderte ich, während ich mich neben Marthe niederließ und Ysabeaus Blick mit aller Kraft und ohne zu blinzeln standhielt.
»Sie ist für meinen Geschmack zu eigensinnig«, sagte Ysabeau abfällig und wandte ihre Aufmerksamkeit sofort wieder ihrem Sohn zu, der klug genug war, die Nase in die Zeitung zu stecken. »Fiddat ist viel fügsamer. Mit zunehmendem Alter weiß ich diese Eigenschaft an einem Pferd zu schätzen.«
Und an einem Sohn , fügte ich in Gedanken hinzu.
Marthe lächelte mir aufmunternd zu und stand auf, um sich an der Anrichte zu schaffen zu machen. Sie brachte Ysabeau einen riesigen Weinkelch und mir einen deutlich kleineren. Dann kehrte sie an den Tisch zurück und reichte Matthew ebenfalls ein Glas. Er schnupperte wohlgefällig daran.
»Danke, Maman«, sagte er und hob ihr sein Glas entgegen.
»Hein, nichts Besonderes«, sagte Ysabeau und nahm einen Schluck.
»Nur einer meiner Lieblingsweine. Danke, dass du daran gedacht hast.« Matthew genoss die Aromen des Weines, bevor er ihn hinunterschluckte.
»Trinken alle Vampire so gern Wein wie du?«, fragte ich Matthew und schnupperte dabei den pfeffrigen Weingeruch. »Du trinkst ständig welchen, und du hast nie auch nur einen Schwips.«
Matthew grinste. »Die meisten Vampire trinken ihn noch viel lieber als ich. Und was die Trunkenheit angeht,
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