Seelen der Nacht
Seite und machte dadurch eine kleine Tanzfläche frei.
»Vòles dançar amb ieu?«, fragte Matthew seine Mutter und streckte ihr beide Hände hin.
Auf Ysabeaus Gesicht erstrahlte ein Lächeln, das ihre gleichmäßigen, kalten Züge in unbeschreiblicher Schönheit aufleuchten ließ. »Ôc«, sagte sie und legte die zierlichen Hände in seine. Die beiden stellten sich vor dem Kaminfeuer auf und warteten ab, bis das nächste Lied einsetzte. Dann begannen sie zu tanzen, und ihr Tanz ließ Astaire und Rogers wie tollpatschige Bären aussehen. Ihre Körper verschmolzen und lösten sich wieder voneinander, neigten und drehten sich. Die leiseste Berührung durch Matthew genügte, damit Ysabeau eine Pirouette drehte, während die leiseste Andeutung einer Verbeugung oder Verzögerung durch Ysabeau genügte, damit Matthew genauso reagierte.
Genau als das Stück endete, senkte sich Ysabeau in einen eleganten Knicks, und Matthew verneigte sich tief.
»Was war das für ein Tanz?«, fragte ich.
»Angefangen haben wir mit einer Tarantella«, erklärte Matthew, während er seine Mutter zu ihrem Sessel zurückgeleitete. »Aber Maman kann sich nie auf einen einzigen Tanz beschränken. Darum haben wir in der Mitte ein paar Elemente der provenzalischen Volta eingefügt und mit einem Menuett geendet, nicht wahr?« Ysabeau nickte und hob die Hand, um seine Wange zu tätscheln.
»Du warst schon immer ein guter Tänzer«, sagte sie stolz.
»Ach, längst nicht so gut wie du – und eindeutig nicht so gut wie Vater«, sagte Matthew und wartete, bis sie sich gesetzt hatte. Ysabeaus Augen wurden dunkel, und herzzerreißende Trauer legte sich über ihr Gesicht. Matthew nahm ihre Hand und strich mit den Lippen über ihre Knöchel. Ysabeau rang sich ein leises Lächeln ab.
»Jetzt bist du dran«, sagte er und kam dabei auf mich zu.
»Ich tanze nicht gern«, protestierte ich und versuchte ihn mit erhobenen Händen abzuwehren.
»Das glaube ich dir nicht«, antwortete er, griff mit seiner Linken nach meiner rechten Hand und zog mich hoch. »Du verbiegst deinen Körper in die unmöglichsten Positionen, fliegst in einem nadeldünnen
Boot übers Wasser und reitest wie der Wind. Das Tanzen müsste dir im Blut liegen.«
Der nächste Titel hätte während der Goldenen Zwanziger in den Pariser Tanzcafés zu hören gewesen sein können. Trompeten und Trommeln erfüllten den Raum.
»Matthew, pass auf sie auf«, warnte Ysabeau, als er mich über den Boden zog.
»Sie wird schon nicht zerbrechen, Maman .« Matthew tanzte los, obwohl ich ihm bei jeder Gelegenheit auf die Füße stieg. Die Rechte um meine Taille gelegt, führte er mich durch die verschiedenen Schritte.
Um ihm die Sache zu vereinfachen, versuchte ich mir die Schritte einzuprägen, doch damit machte ich alles nur schlimmer. Mein Rücken versteifte sich, und Matthew zog mich fester an seine Brust.
»Entspann dich«, murmelte er mir ins Ohr. »Du versuchst zu führen. Dabei sollst du nur folgen.«
»Das kann ich nicht«, flüsterte ich zurück und krallte mich an seiner Schulter ein, als müsste er mich vor dem Ertrinken retten.
Matthew wirbelte uns herum. »Doch, das kannst du. Schließ die Augen, hör auf nachzudenken und überlass alles Weitere mir.«
In seiner Umarmung fiel es mir deutlich leichter, seinen Anweisungen zu folgen. Ich konnte mich entspannen und begann allmählich, die Bewegung unserer Körper in der Dunkelheit zu genießen. Bald gelang es mir sogar, mich nicht mehr darauf zu konzentrieren, was ich tat, sondern nur noch darauf, seine Arme und Beine zu spüren und zu erahnen, was er gleich tun würde. Ich meinte zu schweben.
»Matthew.« In Ysabeaus Stimme lag ein mahnender Unterton. »Le chatoiement.«
»Ich weiß«, murmelte er. Meine Schultermuskeln spannten sich besorgt an. »Vertrau mir«, sagte er mir leise ins Ohr. »Ich halte dich.«
Meine Augen blieben geschlossen, und ich seufzte glücklich auf. Wir wirbelten weiter durch den Raum. Matthew gab mich kurz frei, schickte mich in einer Folge von Pirouetten bis an seine Fingerspitzen und drehte mich dann in seine Arme zurück, bis mein Rücken an seiner Brust lag. Die Musik verstummte.
»Mach die Augen auf«, sagte er leise.
Langsam hoben sich meine Lider. Ich hatte immer noch das Gefühl zu schweben. Tanzen war viel besser, als ich erwartet hatte – jedenfalls mit einem Partner, der über tausend Jahre Tanzerfahrung vorweisen konnte und dir nie auf die Zehen stieg.
Ich legte das Gesicht in den
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