Seelen der Nacht
entgegenschlug.
»Weil dann vielleicht eines fehlt. In jedem Beutel muss jedes einzelne Kraut sein – alle zwölf.«
»Würde ein so kleiner Samen wirklich den Geschmack beeinflussen?« Ich hielt einen winzigen Möhrensamen zwischen Daumen und Zeigefinger.
»Von jedem eine Fingerspitze voll«, wiederholte Marthe. »Noch mal.«
Die erfahrenen Hände der Vampirfrau huschten mit sicherem Griff von einem Häufchen zum nächsten, füllten die Beutel und zogen die Bändel wieder zu. Nachdem wir alles aufgeteilt hatten, goss Marthe eine Tasse Tee mit einem von mir gefüllten Beutel auf.
»Er schmeckt köstlich«, sagte ich und nippte glücklich an meinem selbst zusammengestellten Kräutertee.
»Nehmen Sie ihn nach Oxford mit. Jeden Tag eine Tasse. Der hält Sie gesund.« Sie begann die Beutel in eine Dose zu füllen. »Und jetzt wissen Sie, wie Sie ihn machen können.«
»Marthe, Sie müssen mir nicht alles davon mitgeben«, protestierte ich.
»Sie werden das für Marthe trinken, eine Tasse am Tag. Ja?«
»Natürlich.« Wenigstens das konnte ich für meine letzte Verbündete in diesem Haus tun.
Nach dem Tee ging ich hinauf in Matthews Arbeitszimmer und schaltete den Computer ein. Nach dem langen Ritt schmerzten meine Unterarme, darum zog ich mit meinem Computer und dem Manuskript an seinen Schreibtisch um, wo ich hoffentlich bequemer arbeiten konnte als an dem Tisch am Fenster. Dummerweise war der Ledersessel für jemanden von Matthews Größe gebaut, weshalb meine Füße in der Luft baumelten.
Andererseits fühlte ich mich Matthew näher, wenn ich in seinem Sessel saß, darum blieb ich sitzen, während ich darauf wartete, dass der Computer hochfuhr. Mein Blick fiel auf ein dunkles Objekt, das im obersten Regalfach steckte. Es verschmolz fast mit dem dunklen Holz und den Lederrücken der Bücher und blieb dadurch einem zufälligen Blick verborgen. Von Matthews Schreibtisch jedoch waren die Umrisse klar zu erkennen.
Es war kein Buch, sondern ein alter, achteckiger Holzblock. In jede Seite waren winzige Bogenfenster geschnitzt. Das Gebilde war schwarz, rissig und vom Alter verzogen.
Ich spürte einen leisen Stich, als ich begriff, dass es ein Kinderspielzeug war.
Matthew hatte es für Lucas angefertigt, bevor Matthew zum Vampir geworden war, damals, als er an der ersten Kirche gebaut hatte. Er hatte es in einen Winkel des Regals geschoben, wo es niemandem auffallen würde – außer ihm selbst. Er musste jedes Mal darauf blicken, wenn er an seinem Schreibtisch saß.
Wenn ich mit Matthew zusammen war, konnte ich mir nur zu leicht einbilden, dass wir allein auf dieser Welt waren. Nicht einmal Domenicos
Warnungen oder Ysabeaus Mutproben hatten mein Gefühl erschüttert, dass es nur von uns abhing, wie nahe wir uns letztendlich kamen.
Doch dieser kleine Holzturm, der vor unvorstellbar langer Zeit mit so viel Liebe angefertigt worden war, brachte meine Illusionen zum Einsturz. Es waren auch Kinder im Spiel, lebende und tote. Hinter uns standen Familien mit langer, komplizierter Abstammung und tief verwurzelten Vorurteilen, von denen nicht einmal ich frei war. Und Sarah und Em wussten immer noch nicht, dass ich mich in einen Vampir verliebt hatte. Es war Zeit, sie aufzuklären.
Im Salon arrangierte Ysabeau eben Blumen in einer hohen Vase, die auf einem unbezahlbar kostbaren Louis-XIV.-Sekretär edelster Herkunft stand – der noch nie den Besitzer gewechselt hatte.
»Ysabeau?« Ich klang unsicher. »Könnte ich vielleicht irgendwo telefonieren?«
»Er wird Sie anrufen, wenn er mit Ihnen sprechen will.« Sie schob behutsam einen Zweig mit rot-gelben Blättern zwischen die weißen und goldenen Blumen.
»Ich will nicht Matthew anrufen, Ysabeau. Ich muss mit meiner Tante sprechen.«
»Die Hexe, die neulich Abend angerufen hat?«, fragte sie. »Wie heißt sie?«
»Sarah«, antwortete ich stirnrunzelnd.
»Und sie lebt mit einer anderen Frau zusammen, einer weiteren Hexe, nicht wahr?« Jetzt füllte Ysabeau die Vase mit weißen Rosen auf.
»Ja, sie heißt Emily. Ist das ein Problem?«
»Aber nein.« Ysabeau sah mich über die Blüten an. »Sie sind beide Hexen. Nur das zählt.«
»Und sie lieben sich.«
»Sarah ist ein guter Name«, fuhr Ysabeau fort, als hätte ich nichts gesagt. »Sie kennen natürlich die dazugehörige Legende.«
Ich schüttelte den Kopf. Ysabeaus Themenwechsel waren fast so schwindelerregend wie die Stimmungsumschwünge ihres Sohnes.
»Die Mutter Isaaks hieß Sarai – die
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