Seelen der Nacht
interessierte sich für Abstammungslinien. Nicht nur für ihre eigenen, die weit zurückreichten und sich ebenso weit verzweigten, sondern auch für die ihrer Mitmenschen.
»Ysabeau de Clermont.« Ich versuchte den Namen möglichst so auszusprechen, wie Ysabeau es tat, mit langen Vokalen und halb verschluckten Konsonanten. »Eine sehr eindrucksvolle Erscheinung, Em. Manchmal glaube ich, allein ihretwegen fürchten sich die Menschen so vor Vampiren. Ysabeau kommt mir vor wie aus einem Märchen.«
Es blieb still. »Soll das heißen, du bist bei Mélisande de Clermont?«, fragte Em eindringlich. »Ich dachte gar nicht an die de Clermonts, als du mir von Matthew erzähltest.
Sei vorsichtig, Diana«, warnte sie. »Mélisande de Clermont hat traurige Berühmtheit erlangt. Sie hasst alle Hexen und hat nach dem Zweiten Weltkrieg halb Berlin leer gesogen.«
»Sie hat allen Grund, Hexen zu hassen.« Ich massierte meine Schläfen. »Es überrascht mich, dass sie mich überhaupt in ihrem Haus duldet.« Wenn es umgekehrt gewesen wäre und Vampire schuld am Tod meiner Eltern gewesen wären, hätte ich das nicht so schnell verziehen.
»Was ist mit dem Wasser?«, warf Sarah ein. »Mir macht vor allem die Vision mit dem Sturm Angst, die Em hatte.«
»Ach, als Matthew gestern abfuhr, fing ich zu regnen an.« Schon bei der nasskalten Erinnerung begann ich zu schlottern.
»Eine Hexenflut«, hauchte Sarah. »Was hat sie ausgelöst?«
»Ich weiß es nicht, Sarah. Ich fühlte mich so … leer. Als Matthew
durch das Tor fuhr, konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten, gegen die ich angekämpft hatte, seit Domenico aufgetaucht war.«
»Was für ein Domenico?« Emily ging schon wieder ihren geistigen Karteikasten wichtiger nichtmenschlicher Geschöpfe durch.
»Michele – ein venezianischer Vampir.« Mein Blut begann sofort wieder zu kochen. »Und wenn er noch einmal in meine Nähe kommt, reiße ich ihm den Kopf ab, Vampir hin oder her.«
»Er ist gefährlich!«, rief Em aus. »Dieses Geschöpf hält sich an keine Regeln.«
»Das habe ich schon oft genug zu hören bekommen, und ihr könnt ganz ruhig bleiben, denn seither stehe ich vierundzwanzig Stunden am Tag unter Bewachung. Macht euch also keine Sorgen.«
»Wir werden uns erst keine Sorgen mehr machen, wenn du dich nicht mehr unter lauter Vampiren herumtreibst«, bemerkte Sarah.
»Dann werdet ihr euch noch lange Sorgen machen müssen«, gab ich störrisch zurück. »Ich liebe Matthew, Sarah.«
»Das geht nicht, Diana. Vampire und Hexen …«, setzte Sarah an.
»Domenico hat mir von dem Pakt erzählt«, warf ich ein. »Ich werde niemanden sonst bitten, dagegen zu verstoßen, und ich verstehe, dass ihr deswegen vielleicht mit mir brechen wollt oder müsst. Aber ich habe keine Wahl.«
»Aber die Kongregation wird alles unternehmen, um diese Beziehung zu beenden«, meinte Em mit Nachdruck.
»Auch das habe ich schon gehört. Dann werden sie mich umbringen müssen.« Bis dahin hatte ich die Worte nicht laut ausgesprochen, dabei gingen sie mir seit dem vergangenen Abend im Kopf herum. »Matthew werden sie nicht so schnell los, aber ich bin ein ziemlich leichtes Ziel.«
»Du kannst nicht offenen Auges ins Verderben marschieren.« Em kämpfte mit den Tränen.
»Ihre Mutter hat es getan«, sagte Sarah leise.
»Was ist mit meiner Mutter?« Meine Stimme brach, als die Rede auf meine Mutter kam, und meine Fassung auch.
»Rebecca hat sich Stephen in die Arme geworfen, obwohl alle meinten,
es sei keine gute Idee, wenn sich zwei so mächtige Hexen zusammentun. Und sie wollte nicht hören, als man ihr riet, nicht nach Nigeria zu gehen.«
»Umso dringender sollte Diana jetzt auf uns hören«, sagte Em. »Du kennst ihn erst seit ein paar Wochen. Komm heim, und versuch ihn zu vergessen.«
»Ihn vergessen ?« Wie lächerlich. »Ich bin nicht nur in ihn verknallt. Ich habe noch nie etwas Ähnliches für jemanden empfunden.«
»Lass sie, Em. Wir haben in dieser Familie oft genug solche Gespräche geführt.« Sarah atmete in einem Seufzer aus, der bis in die Auvergne zu spüren war. »Ich hätte mir zwar ein anderes Leben für dich gewünscht, aber wir müssen unsere Entscheidungen selbst fällen. So wie es deine Mutter getan hat. Und ich auch – was deiner Großmutter übrigens gar nicht recht war. Jetzt bist du dran. Aber keine Bishop lässt je eine andere Bishop im Stich.«
In meinen Augen brannten Tränen. »Danke, Sarah.«
»Außerdem«, begann sich Sarah in Rage zu
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