Seelen der Nacht
Lindenallee, die einst zu einem Palast geführt hatte und jetzt nirgendwohin führte, ein kurioses Überbleibsel aus einem herrschaftlichen Leben, das niemand mehr führen wollte. Schließlich hielt er hinter einem einstigen Jagdschlösschen, dessen unverputzte Rückwand so gar nicht zu der cremefarbenen und mit Stuck verzierten Front passte, stieg aus dem Jaguar und hob die Taschen aus dem Kofferraum.
Die weiße Tür auf der Rückseite des Gebäudes schwang auf. »Du siehst richtig scheiße aus.« Im Eingang stand, eine Hand auf dem Türgriff, ein drahtiger Dämon mit dunklen Haaren, funkelnden braunen Augen und Hakennase und inspizierte seinen besten Freund von Kopf bis Fuß.
Hamish Osborne hatte Matthew Clairmont vor fast zwanzig Jahren in Oxford kennengelernt. Anfangs hatten beide nicht gewusst, wie sie sich verhalten sollten. Doch sobald sie gemerkt hatten, dass sie einen ähnlichen Humor hatten und dass sie die gleiche Leidenschaft für gewisse Ideen teilten, waren sie unzertrennlich geworden.
Matthew sah ihn erst ärgerlich und im nächsten Moment resigniert an. »Ich freue mich auch, dich zu sehen«, sagte er schroff und setzte die Taschen hinter der Tür ab. Er atmete den kalten, klaren Geruch des Hauses mit seiner unverwechselbaren Note von altem Gips und alterndem Holz ein, der sich mit Hamishs einzigartigem Aroma von Lavendel
und Pfefferminz mischte. Der Vampir konnte es nicht erwarten, den Geruch der Hexe aus der Nase zu bekommen.
Jordan, Hamishs menschlicher Butler, erschien lautlos und zog eine Schwade von Möbelpolitur und Stärke hinter sich hier. Das vertrieb Dianas Geißblatt- und Schwarznessel-Aroma nicht völlig aus Matthews Nase, aber es half.
»Ich freue mich, Sie zu sehen, Sir«, sagte Jordan und wuchtete dann Matthews Taschen die Treppe hinauf. Jordan war ein Butler alter Schule. Selbst wenn er nicht so fürstlich entlohnt worden wäre, damit er die Geheimnisse seines Arbeitgebers bewahrte, hätte er nie einer Menschenseele offenbart, dass Osborne ein Dämon war oder dass er bisweilen Vampire zu Gast hatte. Genauso undenkbar wäre es gewesen, jemandem anzuvertrauen, dass er gelegentlich gebeten wurde, zum Frühstück Sandwiches mit Erdnussbutter und Bananen zu servieren.
»Vielen Dank, Jordan.« Matthew nahm den großen Salon im Erdgeschoss in Augenschein, damit er sich nicht Hamishs Blick stellen musste. »Wie ich sehe, hast du dir einen neuen Hamilton zugelegt.« Er betrachtete wohlwollend das neue Landschaftsbild an der Wand gegenüber.
»Normalerweise bemerkst du meine Neuerwerbungen gar nicht.« Genau wie Matthew sprach Hamish ein fast reines Oxford-Englisch mit einem winzigen Anflug von Dialekt. In seinem Fall war es der verschliffene Slang der Straßen von Glasgow.
»Wo wir gerade von Neuerwerbungen sprechen, wie geht es Sweet William?« William war Hamishs neuer Liebhaber, ein so bezaubernder und unkomplizierter Mensch, dass Matthew ihn nach der englischen Bezeichnung für die Bartnelke benannt hatte. Irgendwann hatte Hamish den Kosenamen übernommen, und William hatte angefangen, die Floristen in der Stadt nach eingetopften Bartnelken abzuklappern, um sie seinen Freunden zu schenken.
»Der ist eingeschnappt«, antwortete Hamish mit einem leisen Lachen. »Ich hatte ihm ein ruhiges Wochenende zu Hause versprochen.«
»Du hättest nicht zusagen müssen, weißt du? Das wäre nicht nötig gewesen.« Matthew klang ebenfalls eingeschnappt.
»Ja, ich weiß. Aber wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen, und Cadzow ist um diese Jahreszeit sehr schön.«
Matthew sah Hamish finster und mit unverhohlenem Unglauben an.
»Mein Gott, du musst wirklich auf die Jagd gehen, habe ich recht?« Mehr brachte Hamish nicht heraus.
»Unbedingt«, antwortete der Vampir knapp.
»Haben wir noch Zeit für einen Drink, oder willst du sofort los?«
»Ich glaube, einen Drink schaffe ich gerade noch«, antwortete Matthew grollend.
»Exzellent. Ich habe eine Flasche Wein für dich da und einen Whisky für mich.« Gleich nachdem Matthew ihn im Morgengrauen angerufen hatte, hatte Hamish seinen Butler gebeten, etwas von dem guten Wein aus dem Keller zu holen. Er trank ungern allein, und Matthew rührte Whisky nicht an. »Dann kannst du mir vielleicht erzählen, warum du an diesem wunderschönen Septemberwochenende um jeden Preis jagen gehen musst.«
Hamish ging ihm über den glänzenden Boden voran und dann nach oben in die Bibliothek. Die im neunzehnten Jahrhundert angebrachte warm-braune
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