Seelen der Nacht
Holzvertäfelung hatte die ursprüngliche Absicht des Architekten zunichtegemacht, hier einen luftigen, weitläufigen Raum einzurichten, in dem sich die Damen des achtzehnten Jahrhunderts die Zeit vertreiben konnten, während die Männer ihrem Sport nachgingen. Die originale weiße Decke mit ihren Stuckgirlanden und den geschäftigen Putten war geblieben und leuchtete wie ein Fanal gegen alles Moderne herab.
Die beiden Männer ließen sich in die Ledersessel vor dem Kamin sinken, in dem bereits ein Feuer flackerte, das der Herbstkälte die Schärfe nahm. Hamish zeigte Matthew die Weinflasche, und der Vampir zog wohlwollend die Brauen hoch. »Nicht schlecht.«
»Das will ich doch hoffen. Die Herren bei Berry Brothers and Rudd haben mir versichert, dass er ganz exzellent sein soll.« Hamish
schenkte Matthew ein Glas ein und zog den Stöpsel aus seiner Whiskykaraffe. Die Gläser in der Hand, saßen die beiden Männer in kameradschaftlichem Schweigen vor dem Kamin.
»Tut mir leid, dass ich dich da hineinziehe«, begann Matthew. »Ich stecke in einer schwierigen Situation. Die Sache ist … kompliziert.«
Hamish lachte kurz. »Ist sie das bei dir nicht immer?«
Matthew hatte Hamish Osborne damals ins Herz geschlossen, weil der Dämon einerseits immer sofort zum Punkt kam und andererseits im Unterschied zu den meisten seiner Art ein kühler Denker und schwer aus der Fassung zu bringen war. Im Laufe der Jahre war der Vampir mit einer Reihe von Dämonen befreundet gewesen, die gleichermaßen begnadet wie verflucht gewesen waren. Mit Hamish gab es so gut wie nie Probleme. Es gab keine aus heiterem Himmel aufblitzenden Streitereien, keinen plötzlichen, unstillbaren Tatendrang, keine bedrohlichen Depressionen. Bei den Treffen mit Hamish wechselte sich einvernehmliches Schweigen mit scharfsinnigen Konversationen ab, die grundsätzlich von Hamishs heiterer Lebenssicht eingefärbt waren.
Auch was die Arbeit anging, war Hamish eine Ausnahme unter den Dämonen, denn er versuchte sich weder als Künstler noch als Musiker. Stattdessen besaß er eine natürliche Begabung für Finanzen – er wusste, wo es Geld zu verdienen gab, und entdeckte instinktiv gefährliche Schwachstellen in internationalen Finanzinstrumenten und Märkten. Er wandte seine typisch dämonische Kreativität nicht auf Sonaten, sondern auf Excel-Tabellen an und wusste die komplexen Wechselwirkungen im Wirtschaftsleben so bemerkenswert präzise zu deuten, dass Präsidenten, Potentaten und Premierminister in aller Welt seinen Rat suchten.
Die für einen Dämon so untypische Vorliebe für die Ökonomie faszinierte Matthew ebenso wie Hamishs ungezwungener Umgang mit den Menschen. Hamish war gern unter ihnen und fühlte sich von ihren Schwächen nicht belastet, sondern im Gegenteil stimulieren. Zurückführen ließ sich das auf seine Kindheit, die er bei einem Versicherungsmakler und einer Hausfrau verbracht hatte. Nachdem Matthew
die unerschütterlichen Osbornes kennengelernt hatte, verstand er, warum Hamish sie so mochte.
Das Knistern des Feuers und der süße Whiskyduft begannen zu wirken, und der Vampir merkte, wie er sich entspannte. Das Weinglas locker in den Fingern haltend, setzte sich Matthew auf und schaute in die im Feuerschein blinkende rote Flüssigkeit.
»Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll«, sagte er unsicher.
»Am Ende natürlich. Warum hast du zum Telefon gegriffen und mich angerufen?«
»Ich brauche Abstand von einer Hexe.«
Hamish sah seinen Freund aufmerksam an und bemerkte, wie aufgewühlt Matthew war. Irgendwie ahnte Hamish, dass die Hexe keine alte hakennasige Schabracke war.
»Was ist an dieser Hexe so besonders?«, fragte er ruhig.
Matthew sah ihn unter halb geschlossenen Lidern hervor an. »Alles.«
»O je. Du steckst wirklich tief drin, oder?« Hamishs weiche Stimme klang mitfühlend und auch ein wenig amüsiert.
Matthew lachte freudlos. »Könnte man so sagen, ja.«
»Hat diese Hexe einen Namen?«
»Diana. Sie ist Historikerin. Und Amerikanerin.«
»Die Göttin der Jagd«, Hamish nickte bedächtig. »Ist sie abgesehen von ihrem altertümlichen Namen eine gewöhnliche Hexe?«
»Nein«, antwortete Matthew sofort. »Gewöhnlich ist gar nichts an ihr.«
»Aha. Die Komplikationen.« Hamish sah seinen Freund prüfend an, ob er sich allmählich beruhigte, musste aber feststellen, dass Matthew auf einen Streit aus war.
»Sie ist eine Bishop.« Matthew wartete ab. Aus Erfahrung wusste er, dass sich der Dämon so gut
Weitere Kostenlose Bücher