Seelen der Nacht
der Nase ziehen musste. »Komm mit, der Tag ist wunderschön. Es wird dir Spaß machen.«
Draußen kletterte Matthew grimmig in Hamishs verbeulten Jeep. Obwohl zu einem so eleganten schottischen Jagdhaus eigentlich ein Land Rover gehört hätte, fuhren die beiden in Cadzow lieber in dem alten Jeep herum. Matthew machte es nichts aus, dass man sich darin die Finger abfror, und Hamish amüsierte sich über das hypermaskuline Image, das ihnen der Wagen verlieh.
In den Hügeln rammte sich Hamish rücksichtslos durch die Gänge – der Vampir zuckte bei jedem geräuschvollen Schaltvorgang zusammen – und fuhr hoch in die Weidegebiete der Hirsche. Matthew erspähte auf dem nächsten Steilhang ein Rudel und ließ Hamish anhalten. Leise stieg er aus dem Jeep und kauerte sich sofort wie hypnotisiert neben den Vorderreifen.
Lächelnd gesellte sich Hamish zu ihm.
Der Dämon war schon öfter mit Matthew auf die Pirsch gegangen und wusste genau, was sein Freund brauchte. Der Vampir machte nicht jedes Mal Beute, obwohl Hamish sicher war, dass Matthew heute, wäre er allein gewesen, erst nach Einbruch der Dunkelheit und gesättigt zurückgekehrt wäre – während zwei Hirsche weniger auf den Hügeln gegrast hätten. Sein Freund war so sehr Jäger wie Fleischfresser. Es war die Jagd, durch die sich die Vampire definierten, nicht das Beutemachen oder die Art ihrer Beute. Manchmal, wenn Matthew keine Ruhe fand, zog er einfach los und verfolgte das Wild, ohne es zu töten.
Während der Vampir die Hirsche beobachtete, beobachtete der Dämon Matthew. Es gab Ärger in Oxford. Er konnte es spüren.
Während der nächsten Stunden saß Matthew reglos da. Dank seiner übermenschlich scharfen Sinne nahm er jede noch so kleine Bewegung wahr, konnte daraus auf die Gewohnheiten der Tiere schließen und genau abschätzen, wie sie auf einen knackenden Zweig oder einen aufflatternden Vogel reagieren würden. Der Vampir beobachtete sie hochkonzentriert, aber er zeigte keine Ungeduld. Für Matthew zählte
allein der Moment, in dem die Beute erkannte, dass sie geschlagen war, und den Kampf aufgab.
Erst als das Licht schwächer wurde, stand er auf und nickte Hamish zu. Für den ersten Tag genügte es, und auch wenn er kein Tageslicht brauchte, um die Hirsche zu beobachten, wusste er doch, dass Hamish Licht brauchte, um den Jeep zurückzusteuern.
Als sie das Jagdhaus erreichten, war es bereits stockdunkel, und Jordan hatte alle Lichter angemacht, wodurch das auf einer gottverlassenen Anhöhe aufragende Gebäude noch lächerlicher wirkte.
»Das Schlösschen war von Anfang an ein Irrsinn«, meinte Matthew leichthin, aber dennoch stichelnd. »Robert Adam war völlig verrückt, diesen Auftrag anzunehmen.«
»Du hast mir oft genug erklärt, was du von meiner kleinen Geschmacksverirrung hältst«, erwiderte Hamish fröhlich. »Und es ist mir egal, ob du mehr von Architektur verstehst als ich oder ob du Adam für einen Verrückten hältst, weil er – wie nennst du es immer? – einen schlechten Witz – in die Wildnis von Lanarkshire gestellt hat. Ich liebe das Schlösschen, und nichts, was du sagst, kann etwas daran ändern.« Sie hatten dieses Gespräch schon unzählige Male geführt, seit Hamish damals verkündet hatte, dass er das Schlösschen – mitsamt Mobiliar, Jagdführer und Butler – einem Aristokraten abgekauft hatte, der für den Bau keine Verwendung und kein Geld für die Reparatur hatte. Matthew war entsetzt gewesen. Für Hamish hingegen war die Cadzow Lodge der festgemauerte Beweis, wie weit er sich über seine Glasgower Wurzeln erhoben hatte; inzwischen konnte er Geld für etwas ausgeben, das völlig nutzlos war, nur weil er eben wollte.
»Hmpf«, meinte Matthew finster.
Verdrossen ist besser als streitlustig , dachte Hamish. Er ging zur nächsten Stufe seines Planes über.
»Wir essen um acht«, kündigte er an. »Im Esszimmer.«
Matthew hasste das Esszimmer, das protzig, viel zu groß und zugig war. Vor allem aber störte den Vampir die verspielte und feminine Einrichtung des Raumes. Es war Hamishs Lieblingszimmer.
Matthew stöhnte. »Ich habe keinen Hunger.«
»Du bist völlig ausgezehrt«, erklärte Hamish scharf, mit einem Blick auf Matthews fahlen, spröden Teint. »Wann hast du das letzte Mal etwas zu dir genommen?«
»Vor ein paar Wochen …« Matthew zeigte mit einem Achselzucken, wie wenig ihn das interessierte. »Ich weiß nicht mehr.«
»Heute Abend gibt es Wein und Suppe.
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