Seelen der Nacht
wütend.«
Hamish verkniff sich ein Lachen. »Klingt wie eine vernünftige Reaktion auf eine Vampirattacke in der Bibliothek.« Mit der gelben Kugel schoss er die rote an, wobei er ihr absichtlich so viel Drall verlieh, dass sie weiterrollte und ein zweites Mal mit der roten zusammenprallte. »Verflucht«, stöhnte er auf. »Durchgestoßen.«
Matthew kehrte wieder an den Tisch zurück, schoss ein paar Hazards, probierte sich an ein, zwei Cannons.
»Habt ihr euch auch außerhalb der Bibliothek getroffen?«, fragte Hamish, als der Vampir die Fassung halbwegs wiedergewonnen hatte.
»Ehrlich gesagt sehe ich sie kaum, selbst in der Bibliothek. Ich sitze im einen Teil, sie in einem anderen. Aber ich war mit ihr frühstücken. Und in der Old Lodge, damit sie Amira kennenlernt.«
Hamish schaffte es nur mit Mühe, seinen Mund geschlossen zu halten. Matthew hatte schon viele Frauen kennengelernt, aber noch keine davon zur Old Lodge mitgenommen. Und was hatte es zu bedeuten, dass sie an entgegengesetzten Enden der Bibliothek saßen?
»Wäre es nicht einfacher, sich in der Bibliothek neben sie zu setzen, wenn du dich für sie interessierst?«
»Ich interessiere mich nicht für sie !« Matthews Queue rammte in die weiße Kugel. »Ich will das Manuskript. Seit mehr als hundert Jahren versuche ich es in die Finger zu bekommen. Sie hat es einfach auf den Bestellzettel geschrieben, und schon kam es aus dem Archiv angefahren.« Der Neid war ihm anzuhören.
»Was für ein Manuskript, Matt?« Hamish gab sich redlich Mühe, die
Ruhe zu bewahren, aber der Wortwechsel war kaum noch auszuhalten. Matthew geizte mit Informationen wie ein alter Knauser mit seinen Pennys. Für die quicklebendigen Dämonen war es auch so schon eine Qual, mit Wesen zu kommunizieren, für die jede Zeiteinheit unter einem Jahrzehnt bedeutungslos war.
»Ein alchemistisches Buch, das früher Elias Ashmole gehört hat. Diana Bishop ist eine hoch angesehene Wissenschaftshistorikerin mit Schwerpunkt Alchemie.«
Schon wieder stieß Matthew zu fest zu. Hamish setzte die Kugeln auf die Ausgangsposition zurück und sammelte weitere Punkte, während sein Freund um Fassung rang. Schließlich tauchte Jordan auf und erklärte ihnen, dass unten die Drinks warteten.
»Wie steht’s?« Hamish warf einen kurzen Blick auf die Tafel mit dem Punktestand. Er wusste, dass er gewonnen hatte, aber ein Gentleman fragte trotzdem – das hatte Matthew ihm irgendwann erklärt.
»Du hast natürlich gewonnen.«
Matthew stakste aus dem Raum und donnerte deutlich schneller als jeder Mensch die Treppe hinunter. Jordan warf einen besorgten Blick auf die gebohnerten Stufen.
»Professor Clairmont hatte heute einen anstrengenden Tag, Jordan.«
»Man könnte den Eindruck bekommen«, murmelte der Butler.
»Bringen Sie uns lieber noch eine Flasche Roten. Es wird wahrscheinlich ein langer Abend.«
Sie nahmen ihre Drinks in dem Raum, der einst als Salon gedient hatte. Durch die Fenster sah man in den Garten, der immer noch in akkuraten klassischen Beeten angelegt war, deren Proportionen überhaupt nicht zu dem Bau passten. Sie waren zu protzig – sie hätten vor einen Palast, nicht vor ein kleines Lustschloss gehört.
Vor dem Kamin, mit einem Glas in der Hand, stieß Hamish endlich ins Herz des Mysteriums vor. »Erzähl mir mehr über das Manuskript, das diese Diana liest, Matthew. Was genau enthält es? Das Rezept für den Stein der Weisen, mit dem man Blei in Gold verwandeln kann? Oder Brauanweisungen für das Elixier des Lebens, mit dem sich sterbliches in unsterbliches Fleisch verwandeln lässt?«
Der Dämon verstummte, als Matthew zu ihm aufsah.
»Das ist nicht dein Ernst«, flüsterte Hamish schockiert. Der Stein der Weisen war doch nur eine Legende, genau wie der Heilige Gral oder Atlantis. Unmöglich konnte es ihn wirklich geben. Verspätet fiel ihm auf, dass es angeblich auch keine Dämonen, Vampire oder Hexen gab.
»Sehe ich aus, als würde ich Witze machen?«, fragte Matthew.
»Nein.« Der Dämon schauderte. Matthew war schon immer überzeugt gewesen, dass er eines Tages würde herausfinden können, was die Vampire immun gegen Tod und Verfall machte. Der Stein der Weisen passte nur zu gut zu diesem Traum.
»Es ist das verlorene Buch«, verkündete Matthew grimmig. »Ich weiß es genau.«
Wie die meisten nichtmenschlichen Geschöpfe kannte auch Hamish die alten Geschichten. In einer Version hatten die Hexen ein unermesslich kostbares Buch gestohlen, ein Buch, das
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