Seelen der Nacht
die Geheimnisse der Unsterblichkeit enthielt. Einer anderen Fassung zufolge hatten die Vampire den Hexen ein uraltes Zauberbuch entrissen und es dann verloren. Manche meinten flüsternd, es sei überhaupt kein Zauberbuch, sondern eine Art Leitfaden, in dem die grundlegenden Wesenszüge der vier humanoiden Spezies auf Erden abgehandelt wurden.
Matthew hatte seine eigenen Theorien darüber, was das Buch enthalten könnte. Die Erklärung, warum Vampire so schwer zu töten waren, sowie Schilderungen der Frühgeschichte von Menschen und nichtmenschlichen Geschöpfen waren dabei bei Weitem der geringste Teil.
»Du glaubst wirklich, dieses alchemistische Manuskript ist das fragliche Buch?«, fragte Hamish. Als Matthew nickte, atmete er seufzend aus. »Kein Wunder, dass die Hexen getratscht haben. Woher wussten sie, dass Diana es gefunden hatte?«
Matthew brauste wütend auf. »Wer weiß das schon, und wen interessiert das? Die Probleme haben begonnen, als sie ihren Mund nicht halten konnten.«
Wieder einmal wurde Hamish daran erinnert, dass Matthew als Vampir Hexen absolut nicht ausstehen konnte.
»Ich war nämlich nicht der Einzige, der sie am Sonntag belauscht hat. Andere Vampire haben ebenfalls mitgehört. Und dann begannen die Dämonen zu spüren, dass sich hier etwas Interessantes abspielen könnte, und …
»Und jetzt wimmelt es in Oxford von Geschöpfen«, beendete der Dämon den Satz für ihn. »Was für ein Chaos. Beginnt nicht außerdem das neue Semester? Menschen werden in Scharen in die Stadt einfallen.«
»Das Schlimmste kommt noch.« Matthew sah ihn finster an. »Das Manuskript war nicht einfach verschollen. Es stand unter einem Bann, den Diana gebrochen hat. Dann hat sie es ins Archiv zurückgeschickt, und jetzt zeigt sie kein Interesse, es noch einmal abzurufen. Und ich bin nicht der Einzige, der darauf wartet, dass sie es tut.«
»Matthew.« Hamish war die Anspannung anzuhören. »Soll das heißen, dass du sie vor anderen Hexen beschützt?«
»Sie scheint gar nicht zu begreifen, wie groß ihre Macht ist. Damit setzt sie sich einem Risiko aus. Ich durfte die Hexen nicht an sie heranlassen.« Plötzlich wirkte Matthew beängstigend verletzlich.
»Oh Matt«, tadelte Hamish ihn kopfschüttelnd. »Du solltest dich nicht zwischen Diana und ihre eigenen Leute stellen. Damit schürst du nur noch mehr Unruhe. Außerdem«, fuhr er fort, »wird sich keine Hexe offen gegen eine Bishop stellen. Dafür ist ihre Familie zu alt und zu angesehen.«
Inzwischen töteten sich die Geschöpfe nicht mehr gegenseitig, außer in Notwehr. Matthew hatte Hamish erzählt, wie es früher gewesen war, als Blutfehde und Vendetta gewütet und die nichtmenschlichen Geschöpfe immer wieder die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich gezogen hatten.
»Die Dämonen sind unorganisiert, und die Vampire würden es nicht wagen, sich mir in den Weg zu stellen. Aber den Hexen kann man nicht trauen.« Matthew stand auf und ging mit seinem Weinglas an den Kamin.
»Lass die Finger von Diana Bishop«, riet Hamish ihm. »Außerdem wirst du das Manuskript sowieso nicht lesen können, falls es wirklich verhext ist.«
»Wenn sie mir hilft, schon«, meinte Matthew täuschend salopp, den Blick fest in die Flammen gerichtet.
»Matthew«, ermahnte ihn der Dämon in jenem Tonfall, mit dem er sonst seine Juniorpartner wissen ließ, dass sie sich auf dünnem Eis bewegten, »lass die Finger von dem Buch und von der Hexe.«
Der Vampir stellte sein Weinglas behutsam auf dem Kaminsims ab und wandte sich seinem Freund zu. »Ich glaube, das kann ich nicht, Hamish. Ich … begehre sie.« Er brauchte das Wort nur auszusprechen, schon packte ihn der Hunger wieder. Wenn sich sein Hunger auf ein Objekt gerichtet hatte, wenn er, so wie jetzt, nicht mehr zu stillen war, dann genügte es nicht mehr, irgendwelches Blut zu trinken. Dann verlangte sein Körper nach etwas Bestimmtem. Wenn er es nur schmecken könnte – wenn er Diana nur schmecken könnte –, wäre er sofort zufrieden, und das schmerzhafte Verlangen wäre gestillt.
Es überraschte Hamish nicht, dass sich sein Freund nach Diana Bishop verzehrte. Um sich zu paaren, musste ein Vampir ein anderes Wesen tiefer begehren als alles andere auf dieser Welt, und dieses Begehren wurzelte in instinktiver Lust. Hamish hatte den starken Verdacht, dass Matthew – entgegen seiner flammenden Beteuerungen, er werde nie jemanden finden, der ein solches Gefühl in ihm auslöste – sich bald paaren
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