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Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Titel: Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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Schule wusste, wie lange der Sturz gedauert hatte: Eineinhalb Sekunden, wenn Lára in einem Vakuum gefallen wäre, was leider nicht zutraf. Er tippte auf zwei. Zwei Sekunden dauerten lange, wenn einen am Ende der Tod erwartete.
    Der Bericht lag geduldig neben ihm und wartete darauf, dass er sich zusammennahm und weiterlas. Mit dem Handy in der Hand starrte er auf den Fernseher, ohne sich darauf zu konzentrieren. Die Probleme dieser künstlichen, ernst dreinblickenden Schauspieler auf dem Bildschirm tangierten ihn nicht. Außerdem war der Ton ausgeschaltet, denn er wollte Rún nicht beim Schlafen stören. Óðinn wandte seinen Blick vom Bildschirm ab und starrte auf die unschuldige schwarze Schrift auf dem weißen Papier, strich dann leicht mit dem Finger darüber, ohne die Buchstaben merklich zu spüren. Dennoch hatten sie seine Seele zerrissen und verletzt. Warum konnte da nicht einfach stehen, dass Lára sofort tot gewesen oder im Fall gestorben sei? Als Kind hatte ihm mal jemand erzählt, dass Leute, die von Hochhäusern stürzten, schon vor dem Aufprall stürben, weil sie bei der Schnelligkeit nicht mehr atmen könnten. Ein dreistöckiges Wellblechhaus galt zwar nicht als Hochhaus, aber vielleicht war das die Erklärung dafür, dass er sich erst jetzt Gedanken über Láras Tod machte. Er wollte sich nicht ausmalen, wie sie den Fall empfunden hatte. Da war es einfacher zu glauben, der Tod sei milde mit ihr umgegangen.
    Óðinns Augen wanderten wieder zum Fernseher. Nun hatte der eine Schauspieler angefangen zu weinen und der andere schien nicht zu wissen, wie er die Tränen stoppen sollte. Óðinn kam das alles so lächerlich vor, dass er sich einen Ruck gab und den Hemdenkarton zu sich zog. Er würde es vielleicht ganz am Ende schaffen, den Obduktionsbericht zu lesen, und der Rest konnte ja erst mal nicht so schlimm sein. Es gab einen Polizeibericht, der zwei Tage nach dem Unfall verfasst worden war, und Óðinn wusste, dass er den lesen musste, wenn er nicht so jämmerlich aussehen wollte wie der Typ auf dem Bildschirm. Der Unfall war Vergangenheit, daran ließ sich nichts ändern, und er konnte doch nicht zu feige sein, die Anmerkungen der Ermittler zu lesen. Nichts davon konnte schlimmer sein als das, was Lára im Fall erlebt hatte. Noch nicht mal der Obduktionsbericht. Und wenn er sich einmal durch die Lektüre gequält hatte, konnte er Rún bei der Verarbeitung des Verlusts ihrer Mutter bestimmt besser unterstützen. Hoffte er zumindest. Solange er die Vergangenheit einfach verdrängte, würde er seiner Tochter nie helfen können, sie zu bewältigen. Und für Rún war das ungeheuer wichtig.
    In dem Polizeibericht ging es um die Vernehmungen von Láras Nachbarn. In dem Haus gab es neben Láras Dachgeschosswohnung noch vier weitere Wohnungen, aber Óðinn kannte nur den Mann aus dem Untergeschoss. Die anderen Namen sagten ihm nichts. Die Leute waren nie lange im Haus wohnen geblieben, hatten dort meist ihre erste Wohnung gekauft und geglaubt, es würde reichen, die Wände zu streichen, um sie in Schuss zu halten. Als sich das als Trugschluss entpuppte, versuchten sie, ihre Immobilie wieder loszuwerden. Óðinn fing mit dem Mann aus dem Untergeschoss an, aber der war nicht zu Hause gewesen, als Lára aus dem Fenster gestürzt war, und schien so gut wie keinen Kontakt zu Lára und Rún gehabt zu haben. Er hatte noch nicht mal gewusst, wie die Kleine hieß, obwohl er seit ihrer Geburt mit ihr unter einem Dach gelebt hatte. Óðinn hatte den Mann immer etwas seltsam gefunden, ein zurückgezogener Junggeselle in einer Kellerwohnung, halb unter und halb über der Erde, der sich überhaupt nicht für seine Mitmenschen interessierte.
    Die anderen Nachbarn konnten auch nicht viel mehr sagen. Das junge Paar mit dem Kind aus dem Erdgeschoss hatte nur ausgesagt, dass es wisse, dass Lára alleinerziehend sei, ein Kind habe und als Buchhalterin arbeite und dass ihre Mutter in derselben Straße, zwei Häuser weiter wohne. Die beiden waren zwar schon wach gewesen, hatten aber nichts Ungewöhnliches bemerkt. Der Mann war eine Stunde vor dem Unfall zum Joggen rausgegangen. Da war alles ganz normal gewesen, genauso wie vierzig Minuten später, als er wieder zurückgekommen war. Im Treppenhaus und im Garten war niemand gewesen. Alles war wie immer gewesen, bis sie sich zum Frühstück an den Küchentisch gesetzt hatten und Lára an ihrem Fenster vorbeigeflogen war. Es war seltsam, als er las, dass das Kind, das mit seiner

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