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Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Titel: Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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beide zu Beginn der Schulzeit in keine Clique integriert hatten. Nachdem Aldís Akureyri verlassen hatte, schien ihre Freundin andere Gesellschaft gefunden zu haben, bei ihrem letzten Telefonat hatte sie viel von einer Halla geredet, die mit ihr im Fischgeschäft arbeite. Wahrscheinlich hatte die Aldís’ Platz eingenommen.
    Das Telefon blieb erst still, fing dann aber plötzlich wieder an zu klingeln. Jetzt war Aldís davon überzeugt, dass der Anruf auf die eine oder andere Weise mit ihr zu tun hatte und nichts Gutes erwarten ließ. Sie knabberte an der Innenseite ihrer Wange und überlegte, was sie machen sollte. Bevor sie zu einem Ergebnis gekommen war, hatte sie schon den Hörer abgenommen. Errötend führte sie ihn ans Ohr. Es war Monate her, seit sie zuletzt telefoniert hatte, und sie war noch nie an ein fremdes Telefon gegangen. Sie hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte, war aber tief im Inneren froh, es gemacht zu haben. Wenn sie einfach weitergeputzt hätte und dann gegangen wäre, hätte sie sich den ganzen Tag oder sogar die ganze Woche Sorgen gemacht, dass etwas Schlimmes passieren könnte, dass ihre Mutter wieder anrufen und Veigar an die Strippe bekommen würde.
    »Hallo?«
    Am anderen Ende der Leitung war eine Frau, die so perplex wirkte, dass endlich jemand abgenommen hatte, dass sie sich nicht vorstellte.
    »Äh, ja, guten Tag, ich wollte nur mit jemandem sprechen, der mir etwas über meinen Sohn sagen kann, am liebsten würde ich mit ihm persönlich reden, aber soweit ich weiß, ist das nicht erlaubt.«
    Aldís brachte kein Wort heraus, und die Frau sprach atemlos weiter. Es war nicht zu überhören, dass sie sich vor dem Gespräch gefürchtet hatte.
    »Ich habe es schon so oft versucht, dass ich fast aufgegeben hätte. Ich bin in der Mittagspause und durfte kurz das Telefon benutzen, sonst kann ich nur abends anrufen, und dann geht nie jemand ran. Ich dachte schon, das wäre die falsche Nummer.«
    »Ich putze hier nur. Ich kann Ihnen nicht helfen«, entgegnete Aldís. Sie fand, dass das unfreundlich klang, aber es entsprach ja nur der Wahrheit.
    »Können Sie vielleicht einen Verantwortlichen holen? Ich will auch nicht lange stören«, sagte die Frau erwartungsvoll. »Ich muss gleich zurück zur Arbeit, ich halte Sie ganz bestimmt nicht lange auf.«
    Die Stimme der Frau klang flehend, als verfüge Aldís über ein Medikament, das ihr das Leben retten könne. Aber sie konnte nicht viel machen und antwortete:
    »Hier herrschen sehr strenge Regeln für Eltern. Die Jungen dürfen nicht mit ihnen telefonieren, und ich weiß, dass Veigar auch keinen direkten Kontakt zu den Eltern haben will.« Das Zögern am anderen Ende der Leitung ließ darauf schließen, dass die Frau keine Ahnung hatte, wer Veigar war. »Das ist der Heimleiter, der hier alles bestimmt.«
    »Ich verstehe. Aber wäre er vielleicht bereit, ganz kurz mit mir zu reden? Ich mache mir furchtbare Sorgen und will nur ein Lebenszeichen haben. Es ist so schlimm, wenn man gar nichts erfährt.«
    Aldís hätte der Frau am liebsten gesagt, sie solle es später noch mal versuchen, sie könne ihr nicht helfen, aber der Schmerz in ihrer Stimme war zu groß.
    »Wie heißt Ihr Sohn denn?«, fragte sie.
    »Einar. Einar Allen. Kennen Sie ihn?«
    Aldís starrte auf ihre abgenutzten Hausschuhe. Sie waren mal kariert gewesen, aber das Muster war an den Zehen ganz verblichen von dem Putzwasser, das darauf gespritzt war.
    »Ich weiß, wer er ist«, antwortete sie.
    »Können Sie mir sagen, wie es ihm geht? Bitte!« Obwohl sie bestimmt eine stolze Frau war, klang ihre Stimme unterwürfig und hilflos.
    »Es geht ihm gut.«
    Aldís brachte es nicht über sich, etwas anderes zu sagen. Der Sohn dieser Frau war wie die anderen wegen der Sinnlosigkeit im Heim kurz vorm Durchdrehen. Mit jedem Tag, der verging, würde es schlimmer werden. Glaubte Aldís zumindest. Sie hätte die Frau liebend gerne gefragt, was Einar verbrochen hatte, konnte es aber einfach nicht.
    »Er ist zufrieden«, sagte sie nur.
    Doch die Frau war natürlich nicht dumm und entgegnete:
    »Würden Sie es mir denn erzählen, wenn dem nicht so wäre?«
    »Vielleicht nicht«, antwortete Aldís und meinte, im Flur ein Geräusch zu hören. »Ich muss jetzt gehen. Ich darf überhaupt nicht mit Ihnen reden. Wenn mich jemand erwischt, kriege ich Ärger.«
    Sie schaute zur Tür, als rechne sie damit, dass sie jeden Moment aufgestoßen würde, aber draußen im Flur war alles ruhig, und sie entspannte

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