Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)
einer Boutique bekommen würde, so albern, wie sie gekleidet war, sondern sich lieber ans Putzen halten solle.
»Ein bisschen. Ich habe ein Buch, mit dem ich lerne.«
Einar starrte sie weiter an.
»Ich wollte mal Pilot werden. Mein Vater war bei der Luftwaffe.«
Einar hatte einen ausländischen Nachnamen, daher war Aldís nicht überrascht.
»Hat ihn das nicht gefreut? Ich meine, war er nicht stolz auf dich?«, fragte sie. Vielleicht würden sie ja eines Tages an Bord desselben Flugzeugs arbeiten, man konnte nie wissen.
»Er interessiert sich nicht für mich, er hatte nie Kontakt zu meiner Mutter. Er hat eine neue Familie irgendwo in Amerika.«
Aldís lehnte sich auf den Besen.
»Du hast immerhin eine richtige Mutter. Meine ist schrecklich. Ich hoffe, dass ich nie mehr was von ihr höre oder sehe.«
Sie straffte sich und ärgerte sich ein bisschen über sich selbst, dass ihr das rausgerutscht war. Das war ihrer Mutter gegenüber nicht fair. Sie war immer gut zu ihr gewesen, bis sie sie enttäuscht hatte. Aldís verhärtete sich innerlich und unterdrückte jegliche Sentimentalität. Sie wollte ihrer Mutter nicht verzeihen. Das hatte sie einfach nicht verdient.
»Eigentlich bin ich deshalb hergekommen. Ich habe eine Nachricht von deiner Mutter«, fügte sie hinzu.
Die ausgeleierten Bettleisten knarrten, als Einar sich abrupt aufsetzte und die Beine aus dem Bett schwang. Für einen Moment dachte Aldís, er wolle sich auf sie stürzen, und sie musste daran denken, wie heftig er ausrasten konnte. Wenn er ihr zu Leibe rücken würde wie letztens bei Keli, wäre sie völlig hilflos. Doch zum Glück hatte er nichts dergleichen im Sinn.
»Wo hast du sie getroffen?«, fragte er.
»Ich bin in Veigars Büro ans Telefon gegangen. Ich weiß auch nicht, wieso ich das gemacht habe, aber deine Mutter war total froh. Veigar hätte nie mit ihr geredet.« Da Einar nichts sagte, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihn vorsichtig zu fragen, ob sie ihm das lieber nicht hätte erzählen sollen. Ob er die Nachricht von seiner Mutter überhaupt hören wolle?
»Was hat sie gesagt?«
»Sie hat mich gebeten, dir auszurichten, dass sie viel an dich denkt. Oder über dich nachdenkt, ich weiß nicht mehr genau, was sie gesagt hat. Aber ist ja auch egal. Sie klang so, als würde sie dich vermissen.«
Einar nickte behutsam.
»Danke, und sonst hat sie nichts gesagt?«
Aldís wollte schon verneinen, erinnerte sich dann aber an das, was die Frau am Ende noch hinzugefügt hatte. Was so wichtig sein sollte.
»Doch, sie hat gesagt, dass deine Entscheidung die bessere Alternative gewesen ist. Nee, entschuldige, sie meinte, du solltest daran denken, dass du dich für die bessere Alternative entschieden hättest. Oder so ähnlich. Und dass das wichtig wäre.«
Einar nickte immer noch mit seinem dunklen Schopf, diesmal nachdrücklicher. Aldís konnte an seinem Gesicht nicht ablesen, was er von der Nachricht hielt.
»Hast du das verstanden?«, fragte sie.
»Ja, oder ich weiß nicht genau.«
Er schien nicht darüber reden zu wollen, und Aldís beließ es dabei.
»Wenn deine Mutter noch mal anruft, soll ich ihr dann was ausrichten?«
Aldís vermied es, ihm bei der Frage in die Augen zu schauen, und fegte weiter. Der Boden war ziemlich sauber, kein Staub unter dem Bett, nur eine einzelne umgedrehte Socke. Sie bückte sich, hob sie auf und legte sie aufs Bett. Als sie angefangen hatte, ihm Heim zu arbeiten, hatte sie sich vor dreckigen Socken geekelt, ebenso wie vor Haaren im Abfluss, aber der Ekel hatte längst nachgelassen.
»Sag ihr, dass ich mich darauf freue, nach Hause zu kommen.« Einar zog die Beine hoch, während Aldís unter dem Bett fegte. »Was soll ich sonst sagen? Was würdest du an ihrer Stelle hören wollen?«
»Ich?« Aldís grinste, hörte aber sofort auf, als sie sah, dass er es ernst meinte. »Ich weiß nicht, vielleicht, dass es dir trotz allem gutgeht. Es bringt jedenfalls nichts, ihr zu sagen, dass es dir scheißegeht. Falls das so ist. Dann würde es ihr genauso schlecht gehen wie dir. Da ist es besser, zu lügen.«
»Es geht mir weder gut noch schlecht, das kannst du ihr also ruhig sagen, ohne groß zu lügen. Hier zu sein ist, wie in einer Kiste zu hocken, als wäre man aus dem Leben gerissen und in eine Abstellkammer gestellt worden. Alle hier warten irgendwie nur darauf, dass es vorbeigeht; wenn ein Tag zu Ende ist, ist man einen Tag näher an zu Hause und seinem alten Leben.« Er packte den Besenstiel und
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