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Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Titel: Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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ihrer Mutter, wenn sie nicht dichthielt. Außerdem wollte er wissen, ob seine Schwiegermutter am Morgen ihre Wäsche zu Lára gebracht und dabei etwas Ungewöhliches gesehen hatte, vielleicht Logi. Danach hatte die Polizei nicht gefragt, was ihm merkwürdig vorkam. Wobei sie vielleicht gefragt, aber keinen Anlass gesehen hatten, die Antwort in dem Bericht zu erwähnen.
    »Tschüs, Rún, komm bald wieder.«
    Die Frau beugte sich hinunter und gab ihrer Enkelin mit trockenen Lippen einen Kuss auf den Scheitel. Rún versuchte nicht, sich ihr zu entziehen, sah aber alles andere als glücklich dabei aus. Óðinn hätte gerne gewusst, ob Rún ihrer Oma gegenüber immer so gleichgültig gewesen war oder ob das mit dem Schock zusammenhing. Vielleicht konnte sie in ihrer kindlichen Denkweise der Überbringerin der tragischen Nachricht nicht verzeihen.
    Als sie im Auto saßen und Rún sich angeschnallt hatte, drehte Óðinn sich zu ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter.
    »Das war nett von dir, Rún. Deine Oma liebt dich und ist traurig, wenn sie dich nie sehen darf. Man muss manchmal Dinge machen, die man nicht so toll findet, besonders wenn es Menschen anbelangt, die einem nahestehen. Später wirst du froh sein, dass du in Kontakt zu ihr geblieben bist.«
    »Was heißt anbelangt?«, fragte Rún und starrte vor sich hin, nahezu ausdruckslos.
    »Das ist eigentlich nicht wichtig. Das Wichtige ist, dass du eine alte Frau glücklich gemacht hast, die dich über alles liebt. Sie hat außer dir niemanden mehr.« Er lächelte sie an, aber sie schien es nicht zu merken, starrte nur weiter vor sich hin. »Für mich hat sie jedenfalls nicht allzu viel übrig«, fügte er hinzu.
    »Sie ist nicht nett«, sagte Rún und presste die Lippen zusammen.
    Óðinn vermutete, dass er nicht mehr aus ihr herauskriegen würde. Er ließ den Motor an, und sie fuhren schweigend durch die Einbahnstraße an ihrem alten Haus vorbei. Rún blickte starr nach unten, während Óðinns Augen an dem schmutzigen Wellblech hinauf zu dem Fenster wanderten, aus dem Lára gestürzt war. Die Wohnung war immer noch nicht verkauft, und das Fenster lag im Dunkeln. In Óðinns Kopf tauchte eine Erinnerung auf, an die er lieber nicht denken wollte, und er war heilfroh, als sie an dem Haus vorbei waren.

9. Kapitel
    Januar 1974
    Eine graue Rauchschwade stieg von der brennenden Zigarette senkrecht nach oben und verteilte sich über Hákons Kopf in alle Richtungen. Als wüsste der Rauch, dass er die Augen des Mannes meiden musste, damit die Zigarette in seinem Mundwinkel hängen durfte. Aldís saß geduldig auf einem Hocker und verfolgte, wie er die Waschmaschine reparierte, froh, eine Entschuldigung zum Herumtrödeln zu haben.
    »Warum arbeitest du eigentlich hier?«, platzte sie plötzlich heraus. Sie wohnte schon seit Monaten mit diesem Mann unter einem Dach, zusammen mit Malli und Steini, hatte aber nie mit ihm darüber gesprochen. Die Männer waren alle verschlossen und sprachen meistens nur übers Wetter. Nicht, weil sie ihr gegenüber schüchtern waren – wenn sie unter sich waren, brachten sie auch kaum ein Wort heraus.
    Hákon drehte sich langsam zu ihr um und wirkte erstaunt. Aldís wusste nicht, ob er sie zu neugierig fand oder ob er womöglich schon lange auf diesen Moment gewartet hatte, sich danach gesehnt hatte, über sich selbst zu sprechen, über seine Hoffnungen und Sehnsüchte.
    »Tja, ich weiß auch nicht genau. Solche Typen wie ich können nicht an jedem Ort und in jedem Job arbeiten.«
    »Warum nicht?«, entschlüpfte es ihr, ohne dass sie sich Gedanken darüber machte, ob das ratsam war.
    Sie zuckten beide zusammen, als die Zange gegen das Rohr an der Wand knallte.
    »Ich muss mich von dem verdammten Schnaps fernhalten. Dafür ist dieser Ort hier perfekt. Hier gibt es keine Versuchungen, überhaupt keine«, antwortete Hákon.
    Diesmal überlegte Aldís, bevor sie etwas sagte. Lilja hatte also recht gehabt. Wobei sie das nicht überraschte, denn Hákon sah wirklich aus, als hätte er mehr als genug getrunken: Sein Gesicht war zerfurcht, seine Haut spröde, seine Haare dünn wie bei einem alten Puppenkopf und seine Zähne schlecht gepflegt. Er hatte zwar noch welche im Mund, aber die Zwischenräume waren verdächtig breit, und Aldís erwartete immer, dass einer oder zwei Zähne steckenblieben, wenn er in einen Apfel biss.
    »Aber du willst doch wohl nicht ewig hierbleiben? Nur weil es hier keinen Schnaps gibt?«, fragte sie.
    Hákon zuckte mit

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