Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)
Jugendlichen. Ich verjage sie nur. Die haben da nichts zu suchen.«
»Was machen die da?«, fragte sie, immer noch mit ängstlicher Miene.
»Jugendliche sind manchmal ein bisschen seltsam.«
Óðinn wollte noch etwas hinzufügen, kam aber aus dem Konzept, als das Flüstern wieder einsetzte. Obwohl er sah, wie die Augen seiner Tochter größer und die Panik in ihrem Gesicht stärker wurde, lauschte er gebannt. Er verstand kein Wort, hörte es aber immer wieder kichern. Er war sich jetzt ganz sicher, dass da unten Leute waren. Flüstern, flüstern, kichern, kichern. Er hörte etwas, das wie warte nur klang und ihn an die Drohungen kleiner Kinder erinnerte, obwohl der Tonfall nichts Kindisches hatte. Ohne lange zu überlegen, knallte er die Luke zu, schob Rún zurück in die Wohnung und schloss die Tür ab. Das Kichern hatte nicht ausgelassen geklungen, kein bisschen wie: »Der bekloppte Typ da oben, hi, hi.« Óðinn hatte vielmehr den Eindruck, dass die Worte und das unterdrückte Lachen boshaft waren, und wollte nicht, dass seine Tochter noch mehr davon hörte. Er hatte jedenfalls genug.
Eine halbe Stunde später verabschiedete er die beiden Polizisten. Sie hatten ihn gefragt, ob er etwas getrunken oder geraucht oder Medikamente genommen hätte, denn der Schnee vor der Tür zum Müllraum zeigte unmissverständlich, dass dort niemand gewesen war. Die Geräusche waren pure Einbildung gewesen. Óðinn hätte Rún liebend gerne aus ihrem Zimmer geholt, damit sie seine Aussage bezeugen konnte, wollte aber nicht, dass sie hörte, dass es im Schnee keine Spuren gab.
»Hat die Polizei die Jugendlichen verjagt?«, fragte Rún, als sie ins Zimmer kam.
»Als die Polizei endlich kam, waren sie schon weg. Vielleicht haben sie die Sirene gehört.«
»Da war aber keine Sirene. Ich habe das Auto doch kommen sehen.«
»Ich hatte ja gedroht, die Polizei anzurufen. Da sind sie gegangen. Sie wussten ja, dass die Polizei unterwegs ist.«
Es war offensichtlich, dass Rún ihm nicht glaubte. Was kein Wunder war, denn er glaubte es selbst nicht. Óðinn versuchte, sich damit zu trösten, dass die Person, die sich im Müllraum versteckt hatte, jetzt weg war. Aber das war ein schlechter Trost. Ob das noch mal passieren würde? Vielleicht handelte es sich um denselben oder dieselben, die Dísa im Haus bemerkt hatte. Óðinns Blick wanderte zu dem einfachen Türschloss, das sie vom Hausflur trennte. Morgen würde er einen Riegel kaufen. Und sich im Büro krankmelden, denn er durfte Rún nicht alleine in der Wohnung lassen.
13. Kapitel
Óðinn wusste, dass er sich auf diesen Besuch konzentrieren musste, war aber in Gedanken ständig im Büro, wo Rún unter Diljás Aufsicht auf ihn wartete. Am Ende hatte er es nicht geschafft, sich krankzumelden, und seine Tochter lieber mit zur Arbeit genommen, als sie alleine zu Hause zu lassen. Er hatte nämlich selbst keine große Lust, den Tag in der Wohnung zu verbringen.
Alles war glattgegangen, Rún hatte sich wie ein Engel benommen und sich an einem freien Arbeitsplatz in Óðinns Nähe mit dem Computer beschäftigt. Keiner seiner Kollegen hatte etwas dazu gesagt oder gefragt, warum er seine Tochter dabeihätte. Alle kannten seine Geschichte, und einige warfen ihm mitleidige Blicke zu, die ihm durchaus zu schaffen machten. Es gab keinen Grund, seine Tochter und ihn zu bemitleiden, sie würden es schon schaffen.
Ein paarmal hatte er von der Arbeit aufgeschaut, und als wäre es Gedankenübertragung, blickte sie im selben Moment zu ihm, und sie lächelten sich verschwörerisch an. Manchmal schienen sie sich blind zu verstehen: Alles wird gut. Doch als es Mittag wurde und Óðinn kurz wegmusste, verschwand die trügerische Sicherheit, und er hätte Rún am liebsten mitgenommen. Es kam nicht in Frage, das vereinbarte Gespräch abzusagen. Óðinn fürchtete, der Mann würde seine Meinung ändern, und er durfte ihm nicht durch die Lappen gehen, denn er war der Erste, der sich bereit erklärt hatte, mit ihm über seinen Aufenthalt in Krókur zu reden. Einige hatten abgelehnt, und obwohl die Liste noch lang war, war der Anfang nicht gerade vielversprechend.
Da Óðinn damit rechnete, dass der Besuch nicht lange dauern würde, hätte Rún auch so lange im Auto warten können. Aber es war kalt, er hätte den Motor laufen lassen müssen und wäre bei dem Gedanken an seine Tochter nervös geworden, wie sie alleine draußen im Wagen saß, bei Schneefall, der den Auspuff verstopfen konnte, so dass das Auto
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