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Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Titel: Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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als Werbung kam, und Óðinn wandte sich vom Fenster ab. Er fühlte sich deprimiert und konnte den fröhlichen Jingle nicht ertragen, der die Zuschauer zum Kaufen anregen sollte – immer nur kaufen, kaufen, irgendein Zeug, das niemand brauchte. Óðinn vermisste seinen alten Job, die Geschäftigkeit hinter seinem Bruder am Telefon hatte ihn daran erinnert, wie gerne er in dieser Branche gearbeitet hatte. Dort entstanden Dinge, die Ergebnisse wurden von Tag zu Tag sichtbarer und greifbarer. Und es ging nie um Trauer und Tod.
    »Was gibt’s zum Essen?«, fragte Rún, die gähnend aus ihrem Zimmer kam.
    »Was hältst du von Würstchen?«
    »Okay, mir schmeckt alles, was du kochst.«
    Sein Gestümper ließ sich kaum als Kochen bezeichnen, aber er freute sich trotzdem. Rún folgte ihm in die Küche.
    »Was hat Baldur gesagt? Sind Handwerker im Haus?«, fragte sie.
    Óðinns Freude wich der altvertrauten Angst. Rún würde am nächsten Tag alleine zu Hause sein und womöglich dieselben Geräusche hören wie Dísa. Falls die alte Frau recht hatte.
    »Er war sich nicht sicher, aber weißt du was? Er hat uns am Freitag zum Essen eingeladen und gefragt, ob du nicht bei ihnen übernachten willst. Mit Sigga einkaufen gehen oder was Nettes unternehmen.«
    Sie zog eine Grimasse, als sie einkaufen hörte.
    »Klar, warum nicht? Aber ich will nicht shoppen gehen. Ich habe genug Sachen.«
    Óðinn wurde warm ums Herz. Seine Tochter war wirklich bescheiden. Ihr Kleiderschrank sah aus wie in einem Hotelzimmer, in dem nur die Sachen aus einem kleinen Koffer hängen. Sie besaß auch nicht stapelweise Spielzeug wie die wenigen Kinder, in deren Kinderzimmer er gekommen war. Bei den Sachen, die sie seinerzeit von zu Hause mitgenommen hatte, war es geblieben. Óðinn hatte ihr mehrmals vorgeschlagen, mal in einen Spielwarenladen zu gehen, aber sie hatte immer entschieden abgelehnt. Wenn sie alleine war, beschäftigte sie sich meistens mit ihrem kleinen Spielcomputer und Lesen. Außerdem sah sie oft mit ihm fern, oder sie spielten ein Brettspiel, was zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehörte.
    »Du entscheidest, mein Schatz. Wenn du nicht shoppen willst, dann zwingt dich niemand dazu.«
    »Ich weiß.«
    Rún verzog das Gesicht, als sie in die Küche kam, und Óðinn nahm es ihr nicht übel. Der säuerliche Geruch des Mülls war penetrant, so dass er zum Mülleimer ging, den er eigentlich am Morgen hatte leeren wollen. Bei der Hektik hatte er es einfach vergessen. Er band die vollgestopfte Mülltüte zu und nahm sie mit in den Flur. Angesichts der vielen modernen Annehmlichkeiten im Haus wirkte der Müllschlucker furchtbar altmodisch, aber er erfüllte seinen Zweck. Als Óðinn ihn öffnete, kam ihm ein kalter Windhauch entgegen, und ein bitterer, abgestandener Müllgeruch stieg ihm in die Nase. Schnell stopfte er die Tüte in den Schacht und wollte ihr gerade einen Schubs geben, als er meinte, im Müllschacht Stimmen zu hören. Instinktiv wich er zurück, machte dann aber wieder einen Schritt nach vorne, ignorierte den Gestank und lauschte. Vielleicht hatte er sich verhört, vielleicht kam das Geräusch nur von dem Sog, der entstand, wenn man die Luke öffnete. Aber so war es nicht. Durch die Öffnung drangen eindeutig Stimmen. Óðinn konnte kein Wort verstehen, es war mehr wie ein Flüstern, bestimmt irgendwelche Blagen, die heimlich rauchten oder Unfug anstellten. Konnten die sich keinen besseren Ort dafür aussuchen? Warum mussten sie sich in dieser öden Sackgasse herumtreiben und im Müllkeller verstecken? Es gab in der Umgebung jede Menge windgeschützte Häuser, die weniger kalt und wesentlich gemütlicher waren als der kleine Keller.
    Óðinn ließ die Tüte fallen und rief ihr laut hinterher:
    »He, ihr da! Sofort raus mit euch!«
    Ein dumpfer Knall ertönte, als die Tüte unten in den Container fiel, und dann wurde es totenstill. Óðinn hätte lieber ein Türeknallen oder andere Geräusche von unten gehört.
    »Macht, dass ihr nach Hause kommt!«, rief er. »Sonst rufe ich die Polizei. Das ist kein Aufenthaltsraum!«
    Wie lächerlich und spießig er klang. Er selbst wäre vor Lachen geplatzt, wenn er als Jugendlicher da unten gewesen wäre. Doch niemand lachte. Kein Geräusch, bis auf den leisen Sog im Schacht.
    »Dann rufe ich jetzt die Polizei an!«
    »Was brüllst du denn da, Papa? Was ist los?« Rún stand in der Wohnungstür und starrte ihn alarmiert an.
    »Nichts, Schatz. Unten im Müllraum sind irgendwelche

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