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Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Titel: Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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sich mit Kohlendioxid füllte. Da war es besser, sie bei Diljá zu wissen.
    Óðinn verdrängte diese Gedanken und klopfte an die verwitterte Tür. Die Klingel war überklebt, damit man wusste, dass sie defekt war. Die Tür war so massiv, dass es Óðinn vorkam, als klopfe er auf Stein. Er schlug noch einmal heftig dagegen, so dass seine kalten Knöchel schmerzten.
    Die Tür ging auf, und eine Frau undefinierbaren Alters empfing ihn. Ihr Haar war strähnig und stumpf und sah aus, als sei es mit einem Nagelknipser geschnitten worden. Sie trug einen weiten, verschlissenen Männerpullover, der früher mal ein lebhaftes, fröhliches Muster gehabt hatte. Ihr gräuliches Gesicht war von tiefen Falten durchzogen, nur um die Mundwinkel herum war ihre Haut glatt, als hätte sie im Leben nicht viel zu lachen gehabt. Óðinn rechnete mit dem Schlimmsten, als er auf ihre Lippen schaute, doch als sie den Mund aufmachte, erwies sich seine Befürchtung als grundlos – ihre Zähne waren ungewöhnlich schön und weiß.
    »Sind Sie Óðinn?«
    Ihre Stimme war genauso rau und heiser, wie er erwartet hatte.
    »Ja, guten Tag.«
    Bei ihrem festen Händedruck konnte er die Schwielen an ihren Handflächen spüren.
    »Sind Sie Kegga?«, fragte er. Óðinn hatte keine Ahnung, wie die Frau richtig hieß. Von den Sozialbehörden, die ihm bei der Vermittlung des Gesprächs geholfen hatten, hatte er nur ihren Spitznamen erfahren. »Sie wissen bestimmt, worum es geht.«
    Die Frau nickte und wirkte nicht sonderlich überrascht. Zu ihr kamen nur Leute, die an der Endstation des Lebens angelangt waren, und als Hauswartin der Sozialunterkunft hatte sie bestimmt schon ungewöhnlichere Besuche bekommen.
    »Er ist da und wach. Sie wollten doch Pytti treffen, oder?«, fragte sie.
    »Ich kenne nur den vollen Namen des Mannes. Kolfinnur Jónsson. Ist das Pytti?«
    »Ja.«
    Die Frau hielt Óðinn die Tür auf. Das Haus sah von außen aus, als beherberge es ganz normale Wohnungen. Drinnen schlug einem jedoch ein Geruch entgegen, der nichts mit einem normalen Haus gemein hatte: eine Mischung aus Industriereiniger, abgestandenem Kaffee und nassen Jacken, die an einer ausgeleierten Stange an der Wand in dem kleinen Vorraum hingen.
    »Sie können Ihre Schuhe ruhig anlassen.«
    Óðinn zog seine Schuhe wirklich lieber nicht aus, trat sie aber gut ab. Trotz des Putzmittelgeruchs sah der Boden alles andere als sauber aus.
    »Wie viele Menschen wohnen denn hier?«, fragte er. Den Jacken nach zu urteilen, mussten es um die acht Personen sein.
    »Zurzeit fünf. Wir haben eine ziemlich hohe Fluktuation. Die Leute bleiben unterschiedlich lange. Es fällt ihnen schwer, die Hausregeln zu befolgen, und ein Verstoß dagegen ist ein Grund für einen Rausschmiss.«
    Die drei überzähligen Jacken mussten zurückgeblieben sein, als ihre Besitzer aus dem Haus geworfen worden waren. Hoffentlich war das im Sommer gewesen. Es war schwer vorstellbar, wie man ohne warme Kleidung im tiefsten Winter auf der Straße überleben konnte. Óðinn fand es sehr brutal, diese mittellosen Menschen einfach rauszuwerfen, selbst wenn es draußen warm war. Die Frau schien ihm anzusehen, was er gerade dachte.
    »Man kann ein solches Haus nicht führen, wenn die Leute sich verhalten, als wären sie noch auf der Straße oder in irgendeiner Drogenhöhle. Das ist ungerecht gegenüber denjenigen, die wirklich versuchen, das Blatt zu wenden«, erklärte sie und führte Óðinn in ein Wohnzimmer neben dem Vorraum. »Es braucht nämlich nicht viel, dass jemand schon auf den ersten Metern aufgibt. Damit kenne ich mich aus.«
    Óðinn hatte keine Ahnung, was er darauf antworten sollte. Die Frau wollte bestimmt nicht, dass er sie über ihren Kampf mit der Sucht ausfragte.
    »Ist Kolfinnur … ich meine Pytti, schon lange hier?«, wollte er wissen.
    »Nein, ungefähr drei Monate. Er war vorher in Hlaðgerðarkot, dem Reha-Zentrum für Süchtige. Ich glaube, da war er sieben, acht Monate.« Die Frau öffnete die Tür zum Schlafzimmertrakt. »Agga von der Behörde hat mir von Ihrem Anliegen erzählt.«
    An diesem Ort schien keiner bei seinem richtigen Namen genannt zu werden, und Óðinn überlegte schon, ob er sich als Oggi vorstellen sollte, wenn er Pytti traf.
    »Ich werde ihn nicht drängen, wenn er mir nicht viel erzählen will. Soweit ich weiß, hat er die Sache gut aufgenommen, aber es kann schwierig sein, sich an frühere Zeiten zu erinnern.«
    »Er ist ganz relaxt«, entgegnete die Frau, blieb stehen

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