Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)
total betrunken gewesen war, hatte sie sich an den Rat ihrer Freundin gehalten, dass ein heißes Bad nach dem Geschlechtsverkehr eine Befruchtung verhinderte. Hoffentlich war da etwas dran.
Nachdem Aldís sich vergewissert hatte, dass im Flur alles ruhig war, spähte sie vorsichtig durch die Tür. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war. Alles lag im Dunkeln, doch es wurde ohnehin erst gegen Mittag richtig hell, weshalb es durchaus möglich war, dass die Arbeiter schon aufgestanden waren. Das Allerletzte, was sie wollte, war, ihnen halbnackt in die Arme zu laufen, und sie huschte schnellstmöglich in ihr Zimmer. Erst, als sie die Tür hinter sich zugemacht, die Klamotten fallen lassen und sich unter die Bettdecke gelegt hatte, hörte das Zittern auf, und sie war erleichtert. Ihr war immer noch furchtbar kalt und übel, und sie hatte immer noch diese dröhnenden Kopfschmerzen. Und Gewissensbisse. Was hatte sie sich eigentlich dabei gedacht?
Aldís steckte den Kopf unter die Decke, schloss die Augen und hielt sich die Ohren zu. Sie musste immerzu daran denken, wie sie Einar vollgequatscht hatte, mit lallender Stimme und wirrem Kopf. Doch die Worte ließen sich nicht mehr zurücknehmen, und ihre einzige Hoffnung war, dass er genauso betrunken gewesen war wie sie. Es war um die Ungerechtigkeit in der Welt gegangen, inklusive vollmundiger Beschreibungen ihrer Zukunft und ihrer Vorzüge, und leider hatte sie den Eindruck, dass er in erster Linie zugehört und über sich selbst geschwiegen hatte. Sie hatte ihn gefragt, warum er nach Krókur geschickt worden war, aber keine Antwort erhalten, und war zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, um ihn auf sein Alter und das Mädchen auf dem Foto anzusprechen. Sie fühlte sich, als hätte sie ihm ihre schmutzige Wäsche vor die Füße gekippt. Dieser verdammte Schnaps, sie würde nie mehr Alkohol trinken.
Bei diesem Gedanken riss Aldís entsetzt die Augen auf. Was hatten sie mit der Flasche gemacht? Die meiste Zeit hatten sie sich in der kleinen Kaffeestube neben dem Stall aufgehalten – ausgerechnet da! Wobei auch nicht viele Orte zur Auswahl gestanden hatten. Nach der Sache mit Tobbi hatten Lilja, Veigar und die Arbeiter ein Auge auf das Hauptgebäude, ins kleine Haus zu ihren Mitbewohnern konnten sie auch nicht gehen, ebenso wenig wie in den Schlaftrakt der Jungen. Draußen in der Kälte war es nicht auszuhalten, und da war der Stall der einzige Zufluchtsort gewesen. Wahrscheinlich würde die Flasche auf dem kleinen, schmutzigen Tisch, der wackelte, wenn man ihn anstieß, morgen früh sofort Veigar oder den Arbeitern ins Auge fallen. Und Aldís war zwar entschlossen, in Krókur aufzuhören, wollte es aber doch nicht mit Schande tun. Das wäre der Fall, wenn das Ehepaar dahinterkäme, dass sie Schnaps geklaut und sich mit einem Jungen aus dem Heim betrunken hatte. Nur wenn es ihr gelänge, die Flasche zu entsorgen, würde niemand etwas merken. Sie stand schon seit Aldís’ Ankunft in Krókur völlig verstaubt hinter ein paar Konservendosen.
Aldís streckte ihre zitternde Hand aus der Decke und tastete nach dem Wecker auf dem Nachttisch. Erleichtert sah sie, dass noch eine Stunde Zeit war, bis die Ersten aufstünden. Sie musste unbedingt auf die Beine kommen, rüber zum Stall laufen und die Flasche und andere Hinweise auf die nächtliche Party verschwinden lassen. Die Kopfschmerzen setzten wieder ein, und ihr Magen grummelte. Fast hätte sie sich gewünscht, es sei zu spät, um aufzustehen.
Aldís hatte Angst davor gehabt, hinaus in die Kälte zu kommen, aber jetzt fand sie den Wind erfrischend. Ihre Kopfschmerzen waren zwar nicht weg, ließen aber etwas nach, so dass sie sich immerhin bewegen konnte. Sie sog die frische Luft ein wie eine Ertrinkende. Doch dann fuhr der Frost in ihr feuchtes Haar, bis es an den Spitzen gefror, und als es über ihren nackten Hals strich, meinte sie, immer noch in dem kalten Badewasser zu liegen. Sie zog ihre Jacke fester zu, setzte die Kapuze aber nicht auf, weil sie befürchtete, dass die Kopfschmerzen dann zum Gegenangriff blasen würden. Da war es weniger schlimm, gefrorene Haare zu haben. Draußen hatte es geschneit, und die Spuren ihres schlenkernden Heimwegs in der Nacht waren fast zugeschneit. Der kalte Schnee drang in ihre sommerlichen Turnschuhe, kroch über die Fußrücken zu ihren Knöcheln, bis es brannte und Aldís sich verfluchte, in der Eile keine Socken angezogen zu haben. Als sie zurückblickte, sah sie, dass sie
Weitere Kostenlose Bücher