Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)
eine auffällige Spur hinterließ, die man leicht verfolgen konnte. Sie musste versuchen, ihre Spuren auf dem Rückweg vom Stall zu verwischen, damit niemand sah, dass dort in aller Herrgottsfrühe jemand herumgelaufen war. Wenn ihr das gelänge, wäre wahrscheinlich alles in Ordnung.
Aldís musste über ihre gestrigen Rachepläne lächeln, während sie leise mit den Händen in den Jackentaschen Richtung Stall ging. Doch dann fielen ihr weitere Punkte ein, über die sie sich mit Einar unterhalten hatte, und ihr Lächeln verschwand. Ihr Magen rebellierte, und sie blieb stehen, um die Übelkeit niederzukämpfen und nicht Gefahr zu laufen, auf den schneeweißen Boden zu kotzen. Es war, als wollten sich ihre Eingeweide gegen das auflehnen, worüber sie gesprochen und was sie ziemlich cool gefunden hatten. Sie wusste nicht mehr, wer von ihnen damit angefangen hatte, vermutete aber, dass sie es gewesen war. Aldís atmete ein paarmal tief ein, fühlte sich etwas besser und ging weiter. Sie hatte sich schon hundertmal den Kopf darüber zerbrochen, wo Liljas und Veigars Kind vergraben sein könnte, doch jetzt war sie froh, es nicht zu wissen. Wenn sie den Ort gekannt hätte, hätten sie es nämlich in der Nacht ausgegraben und den beiden vor die Haustür gelegt. Wie ein Paket von einem geheimen Freund. Von mir für euch, liebe Mama und Papa. In der Nacht war ihnen das wie eine angemessene Strafe für den Diebstahl der Briefe und das allgemeine Verhalten der beiden vorgekommen. Aldís erschauerte und war froh, nur eine leere Schnapsflasche holen zu müssen anstatt eine Kinderleiche von Liljas und Veigars Treppe.
Am Ende des Schlaftrakts der Jungen hatte sie sich an die Dunkelheit gewöhnt, doch da brach der halbvolle Mond durch die Wolken, und die Schneedecke schimmerte bläulich. Nur ein paar nackte Zweige warfen Schatten auf die Umgebung und erinnerten Aldís daran, dass immer noch Nacht war und sie schlafen, etwas Schönes träumen und sich auf ihren freien Tag in der Stadt hätte freuen sollen. Jetzt war es unwahrscheinlich, dass daraus noch etwas würde. Sie würde kaum abfahrbereit sein, wenn das Postauto losfuhr, und konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, an der Straße auszuharren und auf eine Mitfahrgelegenheit zu warten. Nicht in ihrem jetzigen Zustand. Ihr freier Tag war ruiniert. Enttäuscht schob sie die Hände noch tiefer in ihre Jackentaschen und beschleunigte ihren Schritt. Hier war es nicht mehr so wichtig, vorsichtig durch den knirschenden Schnee zu gehen, denn die Jungen würden sie bestimmt nicht verpetzen, falls sie aufwachten. Dennoch musterte sie im Vorbeigehen die Fenster und hielt Ausschau nach neugierigen Gesichtern. Doch es war niemand zu sehen, sogar der Vogel schien sich in der Nacht in Sicherheit gebracht zu haben. Wieder stieß sie auf undeutliche Fußspuren, die von Einar stammen mussten und am Haus entlangführten. Aldís blieb stehen und sah sich suchend nach einem Gegenstand um, mit dem sie sie verwischen konnte. Veigar würde die Spuren garantiert sehen, wenn er die Jungen weckte, sofort zwei und zwei zusammenzählen und feststellen, dass sich jemand nach dem Abschließen hinausgeschlichen hatte.
Auf dem Treppenabsatz stand eine Schaufel, die sie einfach wegnahm. Nach ein paar ungeschickten Handgriffen hatte sie den Dreh heraus, tilgte die Spuren und beschloss, hinter dem Haus weiterzumachen, obwohl das bedeutete, dass sie den Bereich, den sie bereits geebnet hatte, wieder zertrat. Doch das war weniger schlimm als Fußspuren direkt unter dem Fenster, bei denen Veigar sofort Verdacht schöpfen würde.
Die Wolken wurden dichter, der Himmel verdunkelte sich, und alles wurde grau. Aldís konnte zwar immer noch ausreichend sehen, fühlte sich aber im Dunkeln unsicherer. Der Gedanke an das Ödland, das sich hinter dem Haus bis weit in die Ferne über Hügel und Lavafelder ausdehnte, war beklemmend. Jetzt war es stockdunkel. Aldís wollte dieser düsteren Leere nicht den Rücken zukehren und arbeitete schnell und seitlich, damit sie aus dem Augenwinkel sehen konnte, ob jemand in der Nähe war. Als sie auf den Boden schaute, musste sie sich bücken, um sicher zu sein, sich nicht verguckt zu haben. Unter dem Fenster, durch das Einar ins Haus geklettert sein musste, befand sich nicht nur seine Spur, sondern noch eine zweite, die aus der Dunkelheit kam. Aldís zerbrach sich nicht weiter den Kopf darüber, wie er durch das Gitter gekommen war, und starrte nur die tiefen, fremden Fußspuren
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